Learn about European Naturopathic Healing Methods

Die Mausgetiers

copyright Ulla Meyerhof  Kapolei 2010

Hört, hört,

Dies ist die Geschichte von

Aramis, Athos und Portos,

drei pfiffigen Mausejungs,

die  jede Menge spannende Abenteuer bestehen.


Was?

Ihr meint, dass die Namen der Drei seltsam sind ...

 

... nun, das fanden alle anderen Mäuse anfangs auch. Aber dazu müsst Ihr wissen, dass die drei aus einer Büchermäuse -  nicht zu verwechseln mit der Leseratten-Dynastie - stammten, und dass ihre Mutter ein Leben lang in der Schloss-Bibliothek bei den Abenteuerromanen zuhause war. Was war es da ein Wunder dass sie ihre Nachkommen nach ihrer Lieblingslektüre  „Die drei Musketiere“ von Alexandre Dumas benannt hat? Sicherlich nicht. Ihr Vater trug sogar  den stolzen Stammnamen „Die Mausgetiers“ in der zwanzigsten Generation. Sie waren also etwas ganz Besonderes, da dürfen es schon ganz besondere Namen sein ...

Normal wäre es ja gewesen, wenn die drei Mausejungs  für immer in der Bibliothek gewohnt hätten, wäre da nicht im vergangenen Sommer etwas Außergewöhnliches passiert.

Doch lasst  Euch erzählen.....


1. Wie alles begann

Tiefster Winter war es. Den ganzen Tag hatten es die Spatzen schon von den Dächern gepfiffen, dass sich bei den Mausgetiers in der Schlossbibliothek heute Nachwuchs einstellen würde und am Abend kam endlich der stolze Mäusepapa aus der Bücherhöhle und verkündete allen tierischen Schlossbewohnern, dass soeben  zum  Stamm der Mausgetiers drei prächtige Jungen dazu gekommen waren. 

Aramis, Portos und Athos sollten sie heissen.
“Hi hi hi Ich lach mich schlapp” kreischte die kleine Küchenmaus. 
“W-w-was sind denn das für Namen!!! M-m-man stelle sich vor wenn ich mein Kind 
B-B-B-Bratpfanne oder G-G-Gulasch  nennen würde” 
Die ganze Gesellschaft johlte. Aber der Mäusepapa blieb ganz cool. 

“Wir haben sie nach den drei Musketieren benannt, weil ihre Mutter dieses Buch so sehr liebt” sagte er unbeeindruckt.  Wenn Ihr den Dreien und ihrer Mutter Eure Aufwartung machen möchtet....” 

“Hö, hö”  grölte die dicke Kellermaus, 
“die Aufwartung zu den hochwohlgeborenen Prinzen.” 

Aber neugierig waren sie dann doch.

Alle, wirklich alle  Tiere im Schloss kamen und bewunderten die süßen kleinen rosigen Mäusekinder. Alle hatten eine Kleinigkeit zum Futtern mitgebracht und so kam es, dass das Leben der Drei Mausgetiers mit einem großen Fest anfing. 

Und nicht nur das. Weil gerade das alte Jahr zu Ende gegangen war und ein neues anfing hatte, hatten die Menschen draußen im Schlossgarten ein riesiges Feuerwerk gezündet. 

Schöner hätte man den Geburtstag der Drei nicht feiern können....

Die Mausgetiers, muss man wissen, stammten aus einer angesehenen Büchermäuse-Dynastie. Jeder im Schloss bewunderte sie insgeheim wegen ihrer Klugheit. Es wurde schon gemunkelt, dass die drei Jungs nun bestimmt ihr Leben lang nur hinter Büchern leben müssten und so war  es zunächst auch. Als der Mäusepapa wieder auf Wanderschaft gegangen war, führte die Bibliotheksmaus  ein liebevolles, aber strenges Regiment. 

Raus durften die drei Brüder nie.  Ihre Mutter las Ihnen anfangs jeden Tag viele Geschichten vor, und nach kurzer Zeit konnten sie selber lesen. Anstellen konnten sie so gut wie gar nichts, denn welcher richtige Junge kann schon unter den Augen der gestrengen Frau Mama mal so richtig toben oder Unfug machen? Aber sie vermissten nichts, weil sie es nicht anders kannten. Die große weite Welt, die kam in den Büchern vor,  durch die sie sich gewissenhaft durchfraßen. Alles war also in bester Ordnung.

Doch je älter die Kleinen wurden, desto drängender wurden die Fragen nach der Welt da draußen.  „Es ist zu gefährlich,“ pflegte die Mutter dann immer etwas kurz angebunden zu sagen „Ihr bleibt hier, da kann Euch nichts passieren.“

Athos, dem Kleinsten der Brüder war es recht. Er hing sowieso immer am liebsten an Mamas Rockzipfel und fürchtete sich sogar schon vor den Phantasiegestalten in den Märchenbüchern. 

Da war Portos schon aus anderem Holz geschnitzt. Er war groß und kräftig, ein kleiner Draufgänger.  “Wie sein Vater”,  pflegte die Mutter dann zu sagen und die Augen zu rollen, wenn er wieder mal vor lauter Übermut nicht wusste, was er noch anstellen sollte. 

Aramis, der Erstgeborene, war ihr erklärter Liebling. Er war so wissbegierig! Dauernd wollte er immer noch mehr lesen und immer noch mehr wissen. Er hatte sich die vollendeten Manieren seiner Lieblings-Helden angeeignet und beherrschte die Sprache der Höflinge zu Zeiten der Musketiere vortrefflich. Seine Mutter war unglaublich stolz, dass sie so eine gebildete Maus hervorgebracht hatte.

„Du wirst dich mal um Deine Brüder kümmern müssen, wenn ich das mal nicht kann,“ sagte sie oft und Aramis konnte sich überhaupt nicht vorstellen dass so etwas  jemals so passieren  könnte.

Doch genau das passierte...

Doch das ist eine andere Geschichte


1.  Der Schlossgarten

Es war in jenen heißen Wochen, in denen selbst nachts noch die alten Mauern zu glühen schienen. Wie Kachelöfen fühlte sich das an. Die Mausegänge waren stickig heiß, so dass die Drei bald nicht mehr wussten, wohin sie noch  gehen sollten,  um es etwas kühler zu haben. Selbst der Keller war zu warm und außerdem hatte die Mutter sie ausdrücklich gewarnt, ja nicht in den Keller zu gehen, weil dort die Bibliothekskatze ihr Unwesen trieb. 

Den Menschen muss es auch irgendwie zu heiß gewesen sein, denn wie konnte es sonst sein, dass da im großen Lesesaal ein Fenster sperrangelweit offen stand. 

Verführerisch wehte der Nachtwind herein, lockte die Kleinen nach draußen. 

Aramis, der immer schon der Vorwitzigere der Drei gewesen war,  meinte: 
„Man wird doch mal gucken dürfen.“ 
„Bist Du verrückt geworden?“ fragte Athos entsetzt. 
„Mutter hat es uns ausdrücklich verboten. Es ist zu gefährlich !“
„Ach Papperlapapp“ meinte Portos, denn er war ja schließlich der größte und stärkste Mäuserich,  den die Welt je gesehen hatte. 

Also ging es im Gänsemarsch, soweit dies bei Mäusen möglich ist, aus dem Fenster raus, die Wand hinunter und in den Park.

„Merk Dir wo wir raus sind“ flüsterte Athos seinem Bruder Aramis zu, “sonst finden wir nicht mehr heim”. 

Aber Aramis war ganz Augen und Ohren für die wunderbare Nacht!
Riesige Baumkronen, in denen der Nachtwind wisperte, silbernes Mondlicht, das alles in ein märchenhaftes Leuchten tauchte, die Düfte der Blumen....

„Ahhh - ich könnte für immer draußen wohnen.....  
Hier kann man wenigstens mal richtig rumtoben.”  Und sofort fing er an, mit sich selbst im Kreis zu rennen, schlug einen Haken um die Rhododendronbüsche und schlug einen Purzelbaum in das Blumenbeet.
        „Ey, pass doch auf“, raunzte es aus dem Beet,“ jetzt bist Du mir auf mein Abendessen getreten“. Verdutzt schaute Aramis auf eine dicke fette Nacktschnecke, die sich gerade mit Genuss über eine schöne gelbe Blume hermachte.
„Oh, Verzeihung ich wollte Euer Gnaden nicht stören.“ 

„Komischer Kauz“, dachte sich die Schnecke und war doch sehr beeindruckt, denn mit “Euer Gnaden”  hatte sie noch keiner angeredet...

Doch Aramis war schon weiter gelaufen. Bei den Rosenstöcken blieb er stehen und sog begierig den süßen Blumenduft ein. Was für eine herrliche Welt das da draußen doch war - das musste er unbedingt seiner Mutter erzählen, wenn er zurück war.
Doch es sollte sehr lange dauern, bis er dazu Gelegenheit bekam.

Aber das ist eine andere Geschichte.....





2. Der große Kater




Denn plötzlich hörte er ein verzweifeltes Quieken und einen schrillen Pfiff. Den Pfiff kannte er. Das war sein Bruder Portos. So warnte er immer, wenn von irgendwo her Gefahr drohte. Mäuse haben ihr eigenes Warnsystem, muss man wissen. Aramis huschte,  immer in Deckung,  Richtung Blumenrabatten, wo er seine Brüder zuletzt gesehen hatte. 

Plötzlich wurde er energisch am Schwanz gepackt und mit einem scharfen Ruck hinter einen Busch gezogen. Aramis schrie vor Schreck laut auf, aber sofort hielt ihm sein Bruder den Mund zu.
„Sei still,“ flüsterte Portos seinem Bruder ins Ohr. 
„Ich hab dich doch nicht anderes hier her holen können“, erklärte er. „Guck mal, was da passiert ist“.
Zu seinem Entsetzen sah Aramis, wie ein großer Kater - in seinen Augen war er mindestens so groß wie ein Tiger -  wie dieses Ungeheuer seinen kleinen Bruder Athos im Maul spazieren trug. 

„Was machen wir denn jetzt?“  fragte er bange. 
„Lass mich nur machen“,  sagte Portos. 
Todesmutig lief er dem Kater entgegen, baute sich vor ihm in Kämpferpositur auf,  und schrie aus Leibeskräften. 
„Lass ihn los, er ist mein Bruder“.

Da war es, als würde die Erde still stehen. 
So etwas hatten die Tiere in der Nacht noch nicht erlebt.
Auch der Kater war baff. So etwas war ihm noch nicht untergekommen. Dieser kleine freche Mausejunge!!!!  Er nahm genau Mass. Da stand also so ein daumengroßes Mäuschen und wagte es, ihn, den Schrecken der Nachbarschaft anzuschreien?
 
Das war zu komisch. 

Er musste lachen. 
Er lachte so sehr, dass ihm der kleine Athos aus dem Maul fiel. 
Er lachte so sehr, dass er sich gar nicht mehr beruhigen konnte. 
Während er sich vor Lachen noch im Gras wälzte,  packte Portos den benommenen Athos und seinen Bruder Aramis und rannte mit ihnen aus dem Park raus, über die Strasse und auf das nächste Feld.

“Puh, das war knapp”, sagte er, als sie wieder zu Atem gekommen waren.
“Da dürfen wir uns nie wieder sehen lassen. Das vergisst uns der Kater nie.  Noch einmal kann ich ihn nicht überlisten.”
Sofort machten sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Versteck......

Doch das ist eine andere Geschichte.....


3.  Drei Mäuse suchen eine Wohnung



Ach wie war es doch schön gewesen, als alles noch seine Ordnung hatte. Die Wohnung, die die drei Brüder bewohnt hatten, war gemütlich hinter dicken alten Büchern versteckt gewesen. Aber ihre Neugier hatte sie ins Freie gelockt und sie hatten sofort erfahren müssen, dass es da draußen sehr gefährlich war. Selbst Portos, der große starke Mäuserich stand  noch unter Schock. Er hätte nie geahnt, welche Gefahren da draußen lauerten. Andererseits konnte er überhaupt nicht mehr damit aufhören anzugeben,  wie tapfer er war,  als er seinen Bruder gerettet hatte. Aramis war heilfroh, dass dem kleinen Athos nichts passiert war Und Athos?

   Der hatte jetzt schon Angst, wenn er von einem Grashalm zum anderen laufen sollte. 
Wie sollte das bloß weitergehen?
“Wir brauchen ein sicheres Versteck, am besten eine Mäusewohnung, in der wir immer bleiben können” sagte Aramis, der sich jetzt zum Anführer gemacht hatte. Aber wo sollten sie das finden? 
Also machten sich die Drei auf den Weg...

Doch das ist eine andere Geschichte.....


4.  Der Frosch



Da traf es sich gut, dass ein Frosch des Weges kam. 
„ Seid gegrüßt, Euer Hochwohlgeboren.“ 
Der Frosch sah sich um, ob da noch jemand hinter ihm stünde. 
Oder...   War etwa er damit   gemeint?...  
Aramis ließ keinen Zweifel daran. 
Er machte einen tiefen Hofknicks, wie er seinem Namensvetter Aramis von den 3 Musketieren wohl angestanden hätte, und sagte: 
„Dürfte ich Euer Hochwohlgeboren höflichst eine Frage stellen?“ 
Der Frosch, solche Höflichkeiten nicht gewöhnt, sagte verdutzt: „Quak, ja, natürlich.“
„Wüsstet Ihr eine geeignete Stelle für uns, wo wir wohnen können und uns nicht vor großen Katzen fürchten müssen?“ 
„ Oh,“ sagte der Frosch, „quakquak, da weis ich ein feines Plätzchen. Kommt mal mit.“

Sie mussten sich ordentlich sputen, denn der Frosch hüpfte in Riesensätzen voraus und die drei Mausgetiere konnten mit ihren kurzen Beinchen kaum Schritt  halten. Am Teich zeigte er auf ein wunderschönes großes  Seerosenblatt. 

“Hier! Quakquak. Das ist eine wunderschöne Wohnung. Ich hab selber schon dort gewohnt. Die Lage ist einfach quak-wunderbar“. 
„Au ja“ meinte der kleine Athos, „da möchte ich wohnen. Da kommt keine Katze hin.“ 
„Quak ja,“  meinte der Frosch. „Katzen fürchten das Wasser“.
„ Hmmmm“  brummte Portos, „das ist ja alles gut und recht. Aber wie sollen wir da hinkommen?  Wir können ja nicht schwimmen.“
Das fand der Frosch nun urkomisch. 
„Wie kann ein Lebewesen existieren, wenn es nicht einmal schwimmen kann? Da hab ich ja direkt wieder was gelernt, quak. Nix für ungut quak quak...“  Und schon war er weg....
So waren die Mäuse wieder auf Wohnungssuche...

Doch das ist eine andere Geschichte.....



5.  Der Rabe



...und wie es das Glück so will, war ein Rabe zu Fuß unterwegs. Er hatte sich bei einer Keilerei mit seinen Artgenossen einen Flügel verletzt und musste nun alles laufen. Schimpfend pickte er im Morast am Seeufer. 
„Hallo, dürfen wir Euer Ehren denn eine Frage stellen?“
„Wer will was wissen“  krächzte der Rabe unwirsch.
 
„Oh, darf ich vorstellen“, antwortete Aramis und machte einen zierlichen Kratzfuss – oder was er dafür hielt. 
„Wir sind die drei Mausgetiere und wir haben bis vor kurzem in der Schlossbibliothek gewohnt. Ein unglückliches Schicksal hat uns in diese Wildnis verschlagen. Mein kleiner Bruder Athos wäre beinahe vom Kater verschleppt worden. Wir brauchen dringend eine sichere Unterkunft.“

„ Hmmmh, Kroachz“  sinnierte der Rabe.“  
Er war jetzt schon nicht mehr so unfreundlich, denn es schmeichelte ihm, dass er gebraucht wurde. 
„Ich könnte mal beim Specht nachfragen. Bei dem ist kürzlich eine Wohnung frei geworden.“   
„Au ja“, jubelte Athos. „Ein Baumhaus!“ 
Ob der Specht wohl die richtige Wohnung für die drei hätte?

6.  Der Specht

Also liefen alle zu der großen Eiche. Der Specht war auch zuhause und hörte sich die Geschichte der Wohnungssuchenden an. 
„Kommt mal mit rauf“ sagte er,“   “ich zeig Euch wo das ist.“  
Aramis lief, gefolgt von Athos und Portos, den Baumstamm hinauf. An einem winzigen Astloch blieb der Specht stehen. 
„Voila,“  sagte er, das soviel wie „Hier ist es“ auf französisch hieß, denn er hatte schon gemerkt, dass das gebildete Mäuse waren. Aramis schlüpfte rein. Ganz dünn musste er sich machen. Dann folgte der kleine Athos. 
Aber der große, runde Portos hatte Schwierigkeiten. 
Was immer er auch probierte. Er kam nicht durch die schmale Eingangsöffnung. 
...und nicht nur das. 
Als er wieder zurück wollte ging das auch nicht. 
Wie ein Pfropfen steckte der unglückliche Portos im Eingang und kam nicht mehr vor oder zurück.

Da war nun guter Rat teuer. 
Aramis und Athos schoben von innen nach Leibeskräften – aber er rührte sich nicht
“Darf ich?” fragte der Specht und packte Portos am Schwanz und stemmte sich mit aller Kraft gegen den Baumstamm. Das ging auch nicht.

“Ihr müsst zusammen helfen. Auf mein Kommando: 1-2-3  alle zusammen “  rief der Rabe, der das besorgt vom Boden aus beobachtet hatte.
Tatsächlich! Mit einem lauten Blopp war Portos mit einem Mal frei. Das ging so schnell, dass er gleich zusammen mit dem Specht hinunter auf das weiche Moos fiel...

“Danke, danke, danke” rief er erleichtert, nachdem er sich wieder aufgerappelt hatte, “aber die Wohnung ist leider nicht geeignet”.
Nun brauchten sie wirklich Hilfe, wenn sie über Nacht sicher schlafen wollten.
Doch das ist eine andere Geschichte.....


7.  Die Grille



Wegen der erfolglosen Suche waren die drei Mausgetiers arg niedergeschlagen. 

Es wollte schon dunkel werden, da hörten sie eine Grille lustig vor sich hin fiedeln.
„Welch lieblicher Gesang, Frau Kammersängerin“ schmeichelte Aramis. 
„Ob ich Euch wohl eine Frage stellen dürfte?“
„Oh, frag Er nur.“ 
Die Grille hatte früher bei einem Kammersänger im Garten gewohnt und wusste, wie man Konversation macht. 
„Wir, die Mausgetiers,  suchen dringend eine sichere Behausung. Es wird langsam dunkel und unser kleiner Athos fürchtet sich so sehr.“ 
„Hmmmmh, lasst mich mal nachdenken“. 
Sie kratzte ein bisschen auf ihrer Geige rum und plötzlich sagte sie: 
„Ich weis was. Warum fragen wir nicht mal die Haselmaus aus dem Getreidefeld. Sie ist schon uralt und hat so viele Generationen Mäuse kommen und gehen sehen. Wenn einer etwas weis, dann sie.“




8.  Die Haselmauskönigin



Die Haselmaus war nach Mäuserechnung bestimmt schon 300 Jahre alt. Ihre Schopfhaare hatte sie nach oben gebürstet, sodass sie aussah wie eine richtige Königin aus dem Märchenbuch, das der kleine Athos so geliebt hatte. Sie schaute die drei unterschiedlichen Brüder prüfend an und fragte:
“Habt Ihr überhaupt schon mal draussen gelebt?“  
„Nein, Hoheit“  meinte Aramis, der sich wieder zum Sprecher gemacht hatte. 
„Aber wir haben schon ein großes Abenteuer bestanden und möchten nun nur noch sicher leben.“ 
„Lasst mich mal nachdenken.....“  
...und dann dauerte es endlos. Die drei Mäuse waren,  wie es sich gehört, mucksmäuschenstill, denn sie wollten die alte Dame nicht beim Denken stören. Nach einer Ewigkeit sagte sie: 
„Ich weis einen guten Platz für Euch. Das Feld ist zwar noch nicht abgeerntet, da wird es für Euch noch einmal ungemütlich, aber insgesamt ist es eine sehr gute Höhle mit einem Mauseloch das klein genug ist, so dass keine ungebetenen Besucher rein kommen“. 
Dann machte sie sich mit majestätisch wackelndem Hinterteil auf den Weg. Die drei kleinen Mäuse immer hintendrein. 
Als sie schon meinten, das Feld würde überhaupt nicht mehr aufhören, da sagte sie: 
„Hier“. 
„ Ich seh nichts“, meinte der kleine Athos,
“Ich auch nicht“  meinte der große Portos enttäuscht, aber Aramis sage 
„Wartet mal. Die Haselmauskönigin ist bestimmt nicht den ganzen Weg mit uns gegangen, um uns dann nichts zu zeigen.“ 
Die Haselmaus drehte sich um und schaute Aramis so lange an, dass dem schon ganz unheimlich wurde und sagte: 
„ Du bist ein ganz Gescheiter. Du wirst es weit bringen“ 
Dann fegte sie mit einem unerwarteten Hüftschwung ein paar Blätter zur Seite 
und da war er ....   
Der Eingang zum perfekten Mauseloch. 
Eine richtige Wohnung !!!!

Doch das ist eine andere Geschichte.....



9.  Eine Heimat für die drei Mausgetiers



Mit lautem Jubel stürzten sich die Drei in die Höhle. Sie fanden alles vortrefflich. Eine Haupthöhle als Schlafkammer, eine Vorratshöhle, in der noch ein paar Körner herumlagen, und das tollste waren die zwei Nebenausgänge. 
„Wofür sind die denn gut“  wollte Portos wissen, denn er hatte Angst, dass er wieder irgendwo stecken bleiben würde.  
„Kommt da auch kein anderer rein?“, wollte der furchtsame Athos wissen. 
„Nein“, sagte die Haselmaus-Königin,  „das ist das Beste an der ganzen Wohnung. Wenn Ihr mal Probleme habt, dann habt ihr zwei extra Fluchtwege.  Ich will ja nicht hoffen, dass ihr die je braucht, aber man weiß ja nie“. 

Und bevor die drei sich artig bedanken konnten, war sie schon wieder fort.
“ Wie meinte sie das mit den Fluchtwegen?“ fragte Athos, doch so recht wollte ihm das keiner sagen - er hätte sich sonst bloß wieder gefürchtet. 

Also machten sich alle auf den Weg, um Stroh für ihr Bett zu sammeln. Das hatten sie früher mal von der Mutter erzählt bekommen, dass manche Mäuse nicht in Buchseiten, sondern auf Stroh schlafen. Also schleiften sie einen Halm nach dem anderen in die Höhle, bis sie ein kuscheliges Nest gebaut hatten. Dann gingen sie noch,  ganz knapp bevor die Sonne unterging,  auf Nahrungssuche. Die Haselmauskönigin hatte nicht übertrieben. Die Lage war ideal. Es wuchsen saftige Himbeeren am Wegesrand und  auf dem Feld wuchs leckerer Roggen.

War das ein Festmahl! Es dauerte nicht lange und sie lagen mit kugelrunden Bäuchen auf ihren Strohbetten und  schliefen tief und selig bis zum nächsten Morgen.
Hier konnte nichts passieren. Wirklich nichts?
Aber das ist eine andere Geschichte.....


10.  Die Hasen



Ein Sommer war‘s. Wie aus dem Bilderbuch. Mit morgendlichem Lerchengesang, leichtem Rauschen der Ähren im Wind, mit einer Sonne, die noch morgendlich mild die friedliche Szene beleuchtete. ................
Doch im nächsten Moment war‘s mit dem Frieden vorbei. Aramis, Portos und Athos waren gerade wach geworden, als es draußen polterte und rumpelte. „Hilfe“ schrie Athos gleich vorbeugend, denn man konnte ja nie wissen was gleich passieren würde. 
Zumal das Geräusch näher kam

 Aramis sagte: „Ich schau mal nach“.
 „Du machst das nicht“, meinte Portos, „ich bin viel stärker als Du. Wenn da draußen was Gefährliches ist, kannst Du uns doch gar nicht verteidigen“.
Athos versteckte sich zur Sicherheit schon mal in der Speisekammer. Portos krabbelte zum Haupteingang und
legte das große Blatt, das zur Tarnung diente,  zur Seite.

Aramis war zum Nebenausgang gekrochen und musste nur  noch den „Not-Stopfen“ raus schmeißen, damit er auch etwas sehen konnte. 

Als beide Mäusekinder nun so aus Ihrer Höhle schauten, konnten sie gar nicht glauben, was sie da sahen.

Da waren zwei riesige Tiere mit unglaublich langen Ohren. Sie liefen nicht, wie es sich für Vierbeiner gehört auf allen Vieren.  Nein, sie standen auf den Hinterbeinen und verhauten sich nach Strich und Faden.  „He, was macht Ihr denn da“, rief Aramis. „Könntet Ihr das wohl lassen?“ „Halt Du dich da raus“ japste der eine Riesen außer Atem. „Das ist ein Hasenwettkampf“ „Nur der Stärkste darf die Hasenfamilie leiten“ keuchte der andere, und schon ging die Keilerei munter weiter.
„Ihr seid ja nicht gescheit“, rief Aramis empört. „Ihr tut euch ja weh“... Kaum hatte Aramis das ausgesprochen, als einer der großen Hasen laut aufschrie und jammernd seine Pfote in die Luft streckte. „Was ist denn passiert?“ fragte Aramis besorgt und der Hase schluchzte „Ich habe aus Versehen auf einen Stein gehauen und jetzt tut mir die Pfote sooo weh...“ „Ach herrjemine“ meinte Aramis, „meint ihr nicht, dass es an der Zeit wäre, sich andere Regeln auszudenken? Warum macht Ihr nicht einen Wettlauf und findet heraus, wer die besten Futterplätze findet? Da hätte doch die ganze Hasenfamilie viel mehr davon als von der dusseligen Keilerei ...“ Ein uralter Hase der sich Aramis’ Rede angehört hatte, hoppelte näher.  „Wahrscheinlich hast Du recht“, sagte er. „Wir haben jedes Jahr Verletzte. Dein Vorschlag ist wirklich gut. So hat unsere ganze Hasenfamilie was Gutes von dem Wettkampf“.  Gesagt getan. Die Hasen stürmten über das Feld und nach kurzer Zeit kamen sie alle zurück und hatten Möhren, Kohlrabi und viele andere Leckereien dabei. „Der Hase, der uns das beste Futter besorgen kann, soll nun unser Anführer sein und nicht der, der am dollsten hauen kann“, sagte der alte Hase und alle anderen Hasen waren froh, denn so lustig war die alljährliche Keilerei ja auch nicht. 

„Weisst Du was Aramis“ lächelte der neue Anführer,
„weil Du uns so einen guten Rat gegeben hast, lassen wir in Zukunft auch immer etwas von unseren Leckereien bei Eurer Wohnung liegen.“ 

Aramis verbeugte sich nach bester höfischer Tradition, doch die Hasen hatten sich sofort ihrem Wettlauf zugewandt und rasten so schnell über das Feld, dass nur noch eine Staubwolke zu sehen war.

Während also die Hasen weiter über das Feld tobten, drehte sich Aramis um und schlüpfte in die Höhle zurück. „Kannst rauskommen, Du kleiner Hasenfuß“  rief er Athos zu, der sich unter einem großen Blatt in der Speisekammer versteckt hatte. „Das waren bloß Hasen bei ihrem Frühsport und wir haben in Zukunft immer was zu essen“  
Nach einem ausgiebigen Frühstück mit Himbeeren und Roggenkörnern, bei dem Aramis von seinem Abenteuer mit den Hasen erzählte,  war dann auch für den kleinen Athos die Welt wieder in Ordnung.

„Was machen wir denn jetzt“ fragte Portos? 
„Ich will zu meiner Mama“  piepste Athos.
„Das geht jetzt nicht“ versuchte ihn Portos zu trösten. 
„Wir können da im Moment nicht mehr hin, weil wir an der Bibliothekskatze vorbei müssten. Aber ich bin doch Dein großer starker Bruder. Ich kann auf Dich aufpassen“ 
Aramis, der schon immer der Praktischere von den Dreien war, meinte:
 „Wie wär‘s mit Höhle aufräumen“. 
„Ooooch“. Dazu hatten die anderen beiden aber gar keine Lust. 
„Wenn wir hier nicht Ordnung halten“ meinte Aramis streng, “dann können wir uns hier drinnen bald nicht mehr bewegen“. 
Portos und Athos schauten sich an. 
„Der Aramis spielt sich aber ganz schön auf“ dachte jeder für sich. „Später“ antworteten deshalb beide wie aus einem Mund „Wir räumen später auf“...

Athos verschwand Richtung Speisekammer und Portos ließ sich auf sein Strohlager plumpsen.  Athos spielte in der Speisekammer mit ein paar Eicheln, die vom Vormieter herum lagen, und Portos schnarchte nach zwei Minuten so laut, dass man schon Angst haben musste, es sei draußen zu hören. 

Aramis sah ein, dass da im Moment nichts zu machen war und lief zum Haupteingang hinaus. Die Sonne war schon ein bisschen höher gestiegen und wärmte seinen Pelz. Aramis überlegte kurz, wohin er gehen sollte und entschied sich den Wegesrand entlang zu wandern, damit er leichter wieder heimfinden würde. Er legte nur noch das große Blatt zur Tarnung vor den Höhleneingang und machte sich frohgemut auf den Weg.
Er konnte nicht wissen, dass schon das nächste Abenteuer auf ihn wartete.....
Doch das ist eine andere Geschichte.....


11. Das Igelbaby



Er war noch nicht weit gegangen, als er ein Herz zerreißendes Schluchzen hörte. Als er um den nächsten Stein gebogen war, sah er ein klitzekleines stacheliges Wesen, das auf einem Stein saß und gottserbärmlich schrie. 
„Mamaaaaa, ich will zu meiner Mamaaaaa, Ich will zu meiner....“ 
Kaum hatte das kleine Wesen Aramis entdeckt, hörte es auf zu schreien. 
„Wer bist Du denn“ fragte es mit piepsiger Babystimme.
„Oh, darf ich mich vorstellen? Ich bin Aramis vom Stamm der Bücher-Mäuse. Wer bist Du denn?“ 
„Ich weis es nicht... Ich will zu meiner Mammmaaaa“.

„Na, dann müssen wir doch mal schauen, wo Deine Mama ist. Wo hast Du sie denn zuletzt gesehen?“  
„Da drüben“ meinte der Winzling und zeigte auf ein dichtes Gebüsch. 
„Na, dann geh ich mal dort hin - Du bleibst schön brav hier sitzen“. 
Aramis lief auf den Busch zu, als er urplötzlich vor einer riesigen stacheligen Kugel stand.

Was war das denn....???? Er ging ganz vorsichtig mit dem Näschen an das komische Gebilde ran, schnupperte....  und ........„Autsch“ da hatte er sich schon gestochen. 
„Was ist das denn“ wunderte er sich laut. Aber als Antwort kam nur ein grimmiges Fauchen. 
„Hallo, Euer Ehren,  Ich komme in friedlicher Mission, weil ich für ein kleines Tier-Baby die Mama finden muss, vielleicht können Euer Hochwohlgeboren helfen?“ 
Doch die Kugel rührte sich nicht. 
„Seid Ihr Pflanze oder Lebewesen?“ fragte Aramis, denn er hatte mal gelesen, dass es ganz viele stachlige Pflanzen gäbe. Und er hätte es sehr unpassend gefunden, sich mit einer Pflanze zu unterhalten. 
Plötzlich kam Bewegung in die Kugel und ehe sich‘s der Mausejunge versah, stand eine Riesenmaus mit Stacheln auf dem ganzen Rücken vor ihm.
„Wwwwer sssseid Iiiihr denn?“ fragte Aramis konsterniert. „Oder Wwwwwas seid Ihr denn“? 
Das Riesentier schaute Aramis verschmitzt an und meinte
„Hast noch nie einen Igel gesehen?“

„Ah, jetzt weis ich es“. Aramis fasst sich an den Kopf. „Da gibt es doch die lustige Geschichte vom Wettlauf zwischen Hase und  Igel....“ 
„Jaja“, meinte der Igel ganz beeindruckt, dass Aramis die Geschichte kannte, „das war lange vor meiner Zeit . Mein Ur-ur-ur-Grossvater und seine Frau haben damals den Hasen ausgetrickst. Soooo, das ist also immer noch bekannt....“
Leise gluckste er beim Lachen vor sich hin. 
„Was hast Du gesagt, Du hast ein Baby gefunden?
Wie sieht es denn aus? Vielleicht wie eine Maus mit kleinen Stacheln auf dem Rücken?“ Aramis nickte.
 „Oje, Ich hoffe es ist nicht mein Kind. Ich hatte meine Kleine nämlich ganz sicher im Laub versteckt,  bevor ich mich wegen dem Fuchs zusammen rollen musste.“ 
„Komm doch einfach mit, ich zeig‘s Dir“ sagte Aramis. 
„Es könnte ja sein, dass Dein Kind aus dem Versteck gekrabbelt ist“. 
... und genauso war es. 
Die Igelmutter war heilfroh, dass ihr Kleines das Abenteuer so gut überstanden hatte und Aramis war glücklich, dass er hatte helfen können. 
„Das vergessen wir Dir nie“ sagte die Igel-Mama zum Abschied. 
„Wenn Du mal Hilfe brauchst, dann melde Dich bei uns, wir wohnen bis zum Herbst in diesem Busch und später im Laubhaufen unter den Bäumen da drüben. Aber denk dran, im Winter schlafen wir, da sind wir nicht erreichbar...“ aber das hatte Aramis schon nicht mehr gehört, denn er war,  bereit zu neuen Abenteuern,  weiter gewandert.... Irgendwann würde er vielleicht einmal  die Hilfe des Igels brauchen....

Doch das ist eine andere Geschichte.....


12.  Die Wachtel



Was für ein schöner Morgen das war! Die letzten Tautropfen glänzten auf den Grashalmen. Als Aramis voller Übermut von einem Grashalm zum nächsten hüpfte,  landete er direkt auf dem Rand eines Vogelnestes.
Erschrocken sprang die Wachtel, die beim Brüten vor sich hin geträumt hatte,  auf. 
„Ja kannst Du denn nicht aufpassen“ schimpfte sie,
“wenn Du Bekanntschaft mit meinem Schnabel machen willst, dann trau Dich weiter in mein Nest...“ 
Sie stand auf und breitete Ihre Flügel aus und sah wirklich bedrohlich aus. 
Aber Aramis war genauso erschrocken. Er machte schnell eine höfliche Verbeugung und versuchte die aufgebrachte Vogelmutter zu beruhigen. 
„Keiner wird Euch schaden wollen, meine Gnädigste.  Ich hatte nur nicht mit einem Nest auf dem Boden gerechnet.“ 
Die Wachtel beruhigte sich schnell wieder und sagte:
„Ist ja schon gut. Ich sehe schon, dass eine Feldmaus keine Bedrohung für mich ist.“ 
Aber damit lag  sie bei Aramis falsch. 
„Sie wissen wohl nicht, wen Sie hier vor sich haben. Von wegen Feldmaus...... !!!!    Pfffffft.... Wir, das heißt meine Brüder und ich, sind Mausgetiers.... Wir sind vom Stamm der Bücher-Mäuse. Schon mal was davon gehört? Bestimmt nicht.  Wenn man so ein Feld-, Wald und Wiesenvogel ist wie Sie, dann ist das natürlich kein Wunder. Aber wir, wir sind in der Schlossbibliothek geboren und aufgewachsen. Wir haben soviel Bildung genossen, das reicht für die nächsten 10 Leben.“ 

„Ach ja,“ meinte die Wachtel spitz, „dann kommt ihr ja in der Wildnis hier draußen bestens zurecht, oder irre ich mich da?“
 „Naja, meinte Aramis“, schon etwas bescheidener - „mit dem Leben hier sind wir noch nicht so vertraut. Aber wir lernen schnell.“ Plötzlich raschelte es hinter Aramis  in den Halmen. 

„Schnell, komm unter meinen Flügel, der Biber kommt schon wieder vorbei. Er kann Mäuse nicht leiden. Der sollte Dich hier nicht finden. Und sei bloß still.“ 

Aramis schlüpfte zu den Wachteleiern unter den Flügel und spitzte vorsichtig raus. Da war der Biber. Er kannte ihn ja nur aus Büchern. War der groß!!! Und sein Fell war tiefschwarz und glänzte in der Morgensonne. 

„Guten Morgen meine Schöne“ grüsste der Biber „haben Sie auch schon was geleistet heute morgen?“ Von der Wachtel kam nur ein „Pah“, denn sie konnte dem Biber ja schlecht erklären, dass ihre Leistung darin bestand, dass sie gerade eine kleine Maus vor ihm versteckte.... 
„Ich habe heute morgen schon an meinem wunderschönen Damm weiter gebaut.  Wenn Sie mal mit ihrer Brüterei fertig sind, können Sie mich ja mit ihren Kindern besuchen kommen.“ 
„Jaja,“ meinte die Wachtel sparsam und hoffte, dass das nun das Ende der Diskussion war. 
„Jo, dann will ich mal wieder weiter.“ 
Kaum war der Biber weg, schlüpfte Aramis ins Freie. „Danke, danke liebe Wachtel. Das vergesse ich Dir nie. Wenn Du oder Deine Familie jemals Hilfe braucht - meine Brüder und ich werden tun, was wir können.“ 
Die Wachtel war richtig angetan von diesem sonderbaren, kleinen, höflichen Mäusejungen. Sie hätte sich auch gerne länger mit ihm unterhalten, aber Aramis wollte weiter die Welt erforschen.  
Doch das ist eine andere Geschichte.....


13.     Der Biber



In der Zwischenzeit war es ordentlich heiß geworden. Die Luft flirrte, die Bienen summten in der nahen Wiese und Aramis wurde schrecklich durstig. Er kletterte auf ein steinernes Gebilde. Er hatte so etwas schon mal in Mutters Bibliothek gesehen - es war ein Marterl - und hielt Ausschau. Ganz hinten, am Horizont sah er es glitzern. 
„Das könnte Wasser sein“ dachte er bei sich „dann will ich mich mal auf den Weg machen.“ 
Er lief und lief und lief, aber es war keine Spur von Wasser zu sehen. 
„Ach,“  dachte er, „jetzt wäre die Wohnung auf dem Seerosenblatt recht gewesen...“, aber das half auch nichts. Das machte ihn nur noch durstiger. 

Tautropfen gab es auch keine mehr, die hatte die Sonne längst weg gebrannt. Plötzlich hörte er ein Geräusch, das er noch nie gehört hatte. Es war ein Gurgeln und Gluckern. Neugierig ging er auf das Geräusch zu. 

Wasser! Juhu, er hatte Wasser gefunden ... noch dazu eines, das sich leise gluckernd über runde Kieselsteine durch die Wiese schlängelte. „Erst mal trinken“ dachte er bei sich und legte sich am Ufer flach auf den Bauch. Aber sein Hals war zu kurz. So kam er nicht an das Wasser ran. Er reckte und streckte sich .... und dann kam was kommen musste... er plumpste in das Bächlein.

Oh, da war der Schreck groß. Er schluckte mehr Wasser als ihm lieb war, er prustete und paddelte mit seinen kleinen Mausefüßchen wie wild, aber der Bach zog ihn mit sich fort. Wäre da nicht ein kleines Stück Holz geschwommen, das wäre wohl das Ende der Geschichte gewesen...

Aber mit letzter Kraft konnte sich Aramis auf das Holzstück ziehen und festhalten. War das eine wilde Reise! Als er merkte, dass er nicht mehr in Gefahr war, fing er an die unerwartete Bootsfahrt toll zu finden. Er saß auf dem Holzstück und jubelte und jauchzte.... 

.......bis ihm nach der nächsten Kurve der Jubel im Hals stecken blieb. Hier war Endstation. Der Bach wurde plötzlich ganz breit, wie ein See. Und vorne - Aramis traute seinen Augen kaum - da war die Biberburg. Was heisst hier Burg! Das war eine riesige Festung! Aramis hoffte inständig, dass der Biber ihn nicht sehen würde ....   aber da kam er schon angeschwommen.
„Was sehen meine kurzsichtigen Augen“ meinte er jovial “Ist das nicht das Mäuschen, das die Wachtel vor mir verstecken wollte? Und jetzt kommst Du einfach hier angeschwommen?“
„Oh, Verzeihung Herr Biberkönig, aber ich bin durch einen dummen Zufall hier“....
“Papperlapapp „ unterbrach ihn der Biber. 
„Spar Er sich die Ausreden. Ich will Euch ja gar nichts tun. Ihr habt doch meiner lieben Cousine, der Igel-Mama ihr Kind zurück gebracht, ja?“
 „Ach, das hätte doch jedes mitfühlende Wesen so gemacht“ meinte Aramis bescheiden und wurde bis an die Mause-Öhrchen ganz rot. 
„Nana, jetzt sei mal nicht so bescheiden. Ehre wem Ehre gebührt.....   Wo willst Du denn hin mit Deinem Boot?“ fragte der Biber neugierig. 
„Wenn ich das bloß wüsste“ sagte Aramis, denn gerade war ihm eingefallen, dass er keine Ahnung hatte,  wie er heim zu seinen Brüdern kommen sollte. 
„Ich wohne noch nicht lange im Reich der Haselmaus-Königin am Wegesrand,  gleich da  wo das Roggenfeld anfängt. Aber ich weiß den Weg dorthin nicht mehr.“ 

Tja, weglaufen ist eine Sache, und heim finden eben eine andere...

Doch das ist eine andere Geschichte.....


14.     Die Enten




„Ah, verstehe“   nickte der Biber. 
„Mal sehen,  ich glaube ich kann ich Dir helfen.“ 
Er stieß einen schrillen Pfiff aus und wie auf Kommando kamen zwei Enten angeschwommen. 
„Was sollen wir machen, Meister?“  fragte der prächtige Erpel. Er wohnte mit seiner Frau zur Untermiete beim Biberkönig und musste für diesen ab und zu Geschäfte erledigen.
„Ich habe einen Spezialauftrag für Euch,“ sagte der Biber „Ihr sollt dieses kleine Mäuschen hier  rüber an das Roggenfeld bringen. Da wohnen seine Brüder.“ 

Aramis wollte sich schon wieder aufblasen - von wegen klein und Mäuschen !!!!!  - wo er doch eine Bücher-Maus war und sooo gebildet  - aber er blieb lieber still, denn sonst hätten die Enten ihn vielleicht auf seinem Behelfsboot sitzen gelassen. 
Die Entendame nahm ihn ganz vorsichtig mit ihrem Schnabel auf und setze ihn auf den Rücken ihres Entenmannes. 
„Gut festhalten“ quakte dieser noch und eh sich‘s Aramis versah war er hoch oben in der Luft. Die Flügel rauschten und ihm wurde ganz schwindlig, wenn er nach unten sah.
Kaum hatte er angefangen diese tolle Aussicht zu genießen, ging es schon wieder runter auf die Erde.
„Absteigen. Quakquak, Hier ist Endstation“ rief der Enterich und Aramis hüpfte von seinem Rücken runter. „Oh, 1000 mal vielen Dank.“ Er machte einen zierlichen Kratzfuß, um die Enten zu beeindrucken, doch die wussten mit seiner Verrenkung nichts anzufangen.. „Quak quak, das ist schon in Ordnung. Lauf das nächste Mal nicht wieder so weit weg, sonst findest Du am Ende nicht mehr heim.“  Aramis dachte daran, dass er noch bei der Wachtel so angegeben hatte, wie gescheit er war - und nun hatte er die erste und einzige Regel in der Wildnis missachtet. Er war unvorsichtig gewesen und hatte sich verlaufen. Das sollte sich aber ändern, schwor er sich.

Ja, das ist wieder eine andere Geschichte.


15.     Die Nahrungssuche



Wie waren Aramis Brüder Portos und Athos froh, dass ihr kleiner Schlaumeier wieder wohlbehalten zuhause war. Sie hüpften vor Freude, erdrückten ihn fast mit ihren Umarmungen und jeder wollte immer wieder hören, was er alles erlebt hatte. Ja, wenn einer eine Reise tut - und sei sie noch so unfreiwillig - dann kann er was erzählen. 

Doch später, als dann alles gesagt war, merkten die Brüder, dass sie richtig Hunger bekommen hatten. 
„Ich muss jetzt raus und was zu futtern holen,“ meinte Portos, denn er war immer der Hungrigste von den dreien. „Warte, ich will mit,“ rief Athos, denn mit seinem großen starken Bruder in der Nähe fühlte er sich sicherer. „Na gut komm, wird schon nichts passieren,“
sagte Portos gutmütig und lief mit ihm ins Freie.
„Ich bin müde. Ich hau mich solange aufs Ohr,“ sagte Aramis, und verzog sich in die Schlafhöhle. Eine Minute später hörte man nur noch ein sanftes Schnarchen.....

Portos und Athos liefen zum Himbeerstrauch, an dem gestern noch die leckersten Früchte gehangen hatten. Doch heute war er leer. Keine einzige Himbeere war mehr da.
„So was Dummes“ schimpfte Portos, „dabei hatte ich mich auf die Himbeeren besonders gefreut.“ 
„Vielleicht finden wir ja noch einen anderen Himbeerstrauch“ schlug Athos vor. Also wanderten die beiden am Waldrand entlang. Aber welche Himbeerbüsche sie auch ansteuerten - sie waren alle abgeerntet. Inzwischen war Portos richtig grantig geworden. Er knurrte und fauchte wie ein Tiger und nur sein Magen knurrte noch lauter... Athos wurde es schon ganz beklommen zumute. Was, wenn sie jetzt nichts zu essen finden würden? 
„Warum suchen wir uns denn nicht was anderes?“ fragte er schließlich schüchtern. 
„Wir müssen ja für Drei einsammeln und das sollten wir heute noch schaffen.“ 
„Ja, Du bist ja ein ganz Gescheiter - und waaas Bitte schön, sollen wir anderes sammeln?“ Manchmal konnte Portos so ungut sein, wenn es nicht nach seinem Willen ging.

Essen finden war gar nicht einfach...
Doch das ist eine andere Geschichte.....





16.     Das Eichhörnchen



 Athos sah sich um und sah ein kleines flinkes Wesen durch den Wald huschen. Es sprang hoch auf die Bäume, hüpfte von einem Wipfel zum anderen und kam dann wieder auf die Erde, wo es etwas zu vergraben schien. 
„Schau mal Portos, das kleine Tier hat bestimmt was zum essen vergraben.“ Als das Eichhörnchen wieder in den Baumwipfeln verschwunden war, gingen die zwei zu dem Versteck und staunten nicht schlecht. Da gab es die leckersten Eicheln und Bucheckern , ein paar Roggenkörner und saftige Blätter waren auch dabei. Am liebsten hätte Portos das alles mit einem Haps aufgegessen. 
„He,“ rief der kleine Athos, als Portos anfing, sich mit beiden Händen den Mund voll zu stopfen. „denk auch an Aramis und mich. Wir müssen doch auch noch was mit heimbringen.“ 
„Ich hab aber jetzt Hunger“  brüllte Portos plötzlich los, denn wenn es um das Essen ging, verstand er keinen Spaß. Athos fand aber gar nicht lustig, dass Portos alles allein essen wollte, ohne seinen Brüdern etwas übrig zu lassen. Das ging hin und her. Die beiden stritten so laut, das alle Tiere des Waldes aufmerksam wurden. Ganz zum Schluss hörte auch das Eichhörnchen in der Baumkrone der großen Eiche den Streit. Behände flitzte es den Baumstamm hinunter und stand atemlos vor den Beiden. 
„Was glaubt Ihr eigentlich, was das hier ist?“ fragte es wütend. „Ein Selbstbedienungsladen? Das ist mein Wintervorrat und ihr bleibt weg davon, verstanden?“
Portos und Athos standen verdattert da.  
Zwei Rehe, die den ganzen Streit interessiert beobachtet hatten, mischten sich jetzt ein. 
„Lass doch mal gut sein, Eichhörnchen“ sagten sie. „Du sammelst doch schon den ganzen Sommer. Soviel kannst Du doch gar nicht essen. Morgen hättest Du sowieso nicht mehr gewusst, dass da eines Deiner zahlreichen Futterlager ist“ 
„So,“ ereiferte sich das Eichhörnchen „und deswegen kann jeder hergelaufene Dieb meine Leckereien stehlen? Und außerdem wisst ihr ja gar nicht, was ich noch Gutes mit meinen Lagern tue. Jeder Samen, den ich nicht esse, wird nächstes Jahr austreiben und eine neue Pflanze bilden. So erneuert sich der Wald jedes Jahr. Wie soll das denn geschehen, wenn alles aufgegessen wird?“ 
Da waren die Rehe, die Hasen, die neugierig dazu gekommen waren, und ganz besonders die zwei Mausgetiere platt. So hatten sie das noch gar nicht gesehen. Doch der kleine Athos wollte so gerne, dass sein hungriger Bruder was zu Essen bekam und dass sich alle wieder vertragen würden. Er hatte auch schon eine Idee, aber vorher musste er seinen ganzen Mut zusammen nehmen. 
„Ich hätte da einen Vorschlag,“ sagte er mit dünner zittriger Stimme, denn eigentlich fürchtete er sich vor dem wütenden Eichhörnchen. „Wenn Du uns heute dieses Lager überlässt, dann helfen wir Dir Deine anderen Lager wieder zu finden, wenn Du später mal Hunger hast und Dein Lager nicht mehr findest.“
„Hmmmm.“ Das war nun wirklich ein tolles ein Angebot! Das Eichhörnchen konnte das kaum ausschlagen. Wie oft hatte es sich geärgert, wenn im Winter eine dicke Schneedecke alle Vorräte gleichmäßig zugedeckt hatte, so dass er nichts mehr finden konnte. Und wie oft hatte er sich in solchen  Momenten dann immer gewünscht, ein kleines Mäuschen zu sein, das unter dem Schnee spazieren gehen und all die Vorräte finden konnte. 
„Abgemacht,“ sagte das Eichhörnchen.
 „Ich helfe Euch sogar, dieses Lager nachhause zu bringen und im Winter haben wir dann miteinander einen Vertrag.“ 
Die anderen Tiere, die schon gedacht hatten, dass das wohl bald eine üble Keilerei um das Futter geben würde, waren ganz erstaunt. So eine gute Idee und jeder hatte einen Vorteil. 
„Athos, du bist so ein guter Vermittler, bevor wir das nächste Mal streiten, werden wir Dich fragen, ob Dir nicht etwas besseres einfällt,“ sagten sie, bevor sie sich wieder ihren eigenen Geschäften widmeten. 
Portos war selig. So viel zu essen und die Aussicht auf eine gefüllte Vorratskammer - das war mehr als er erträumt hatte.
 „Athos, das vergesse ich Dir nie.“ sagte er zu seinem kleinen Bruder „Du hast mir das Leben gerettet, denn ich wäre in der nächsten Minute bestimmt verhungert gewesen.“ 
Das war zwar übertrieben, aber Athos war glücklich wie noch nie zuvor. Er,  der Kleine, hinter dem alle her sein mussten, dass ihm nichts passiert. Er hatte es geschafft, seinem großen starken Bruder zu helfen. Das muss ich gleich Aramis erzählen....  Doch das sollte noch eine Weile dauern, bis er Aramis wieder sah. Und das kam so...

Aber das ist wieder eine andere Geschichte.


17.     Das Gewitter



So machten sich das Eichhörnchen und die Mäusebrüder auf den Weg. Jeder trug, soviel er konnte.
 Um die Zeit ein wenig kurzweiliger zu gestalten, erzählte das Eichhörnchen den Beiden den neuesten Klatsch und Tratsch aus dem Wald. Athos und Portos staunten nicht schlecht. Was im Wald alles los war... Davon hatten sie in ihrer geschützten Bücherhöhle ja keine Ahnung gehabt...

Mit einem Mal war da ein Rauschen in den Baumkronen und die Luft schien zum Greifen dicht zu werden. Von Ferne war ein dumpfes  Grollen zu hören.... Dann ein greller Blitz und sofort ein scharfer Knall... 
„Was ist das denn“ schrie Athos entsetzt und ließ alle Bucheckern fallen. 
„Ach“, sagte das Eichhörnchen, „das wird wohl ein Gewitter. Wir sollten Schutz suchen und uns irgendwo unterstellen.“ 
„Oh jeminee“ jammerte Athos, „was wird  das denn ...  Was ist um Himmels willen  ein Gewitter?“ 
Bevor das Eichhörnchen antworten konnte zerriss noch ein greller Blitz den Himmel und ein weiterer scharfer Knall ließ die Bäume und den Boden erbeben.“ 
„Uääääh,“ Athos plärrte aus Leibeskräften, denn das war eindeutig zuviel. „Ich will zu meiner Mama!“  schrie er und hätte damit fast den Donner übertönt. Portos packte den kleinen Schreihals und hielt ihm Ohren und Augen zu. 
„Gaaaanz ruhig, mein Kleiner“ sagte er, obwohl das Athos gar nicht hören konnte. „Wir kommen heil heim, so wahr ich Athos vom Stamm der Mausgetiers bin.“ 
Das Eichhörnchen schrie noch: „Geht ja nicht zum Bach“  und flitzte so schnell es konnte unter einen alten vermoderten Baumstamm.  Wieder ein Blitz,  der alles taghell machte und wieder ein Krachen, dass man meinen sollte die Welt ginge unter. Autsch, das tat in den Ohren weh. Portos langte sich an die Ohren und das war der Moment, in dem Portos aus Versehen seinen Bruder los ließ. Dieser rannte in seiner Panik los. Blindlings in den Wald hinein. „Athos! Athos! “ schrie nun Portos verzweifelt, doch der Donner und das heftige Rauschen des Sturms übertönten alles. Er versuchte den Kleinen einzuholen, stolperte und fiel über einen Käfer, der Deckung unter einem Blatt gesucht hatte, rannte, was er nur konnte, aber er hatte kein Glück. Sein kleiner Bruder war wie vom Erdboden verschluckt. 
Der war brüllend und halb blind vor Tränen schnurstracks auf den Bach zu gelaufen. Inzwischen regnete es heftig. Es war, als hätte der Himmel alle Schleusen geöffnet. Athos lief gegen einen bemoosten Stein und der Schmerz ließ ihn innehalten. „Auaaaaahh, mein Bein“ schrie der kleine Kerl. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Aber eigentlich hatte er Glück im Unglück, denn - wäre er weiter gelaufen - er wäre unweigerlich in den Bach gefallen. 
Der Bach? Das war kein Bach mehr! Das war ein reissender Strom.
 Athos wollte sich gerade umdrehen und überlegen, wie er zu seinem Bruder zurück finden könnte, als er ein jämmerliches Weinen hörte. 
Doch das ist eine andere Geschichte.....


18.     Die Raupe



Er schaute zum Bach und da sah er, dass sich im Ufergestrüpp ein großes Blatt verfangen hatte. Auf dem Blatt saß eine Raupe und weinte bitterlich. „Ich kann nicht schwimmen, so hilf mir doch bitte einer.“ schluchzte sie. „Bitte, bitte, ich will doch nicht im Bach ertrinken. Ich hab doch noch so viel vor. Ich will doch ein schöner Schmetterling werden... Ich will hier raus...! 
„Hallo, du komisches Wesen“ rief Athos, „wieso kannst Du nicht einfach ans Ufer springen“ 
„Ah,  Du bist vielleicht gut! Hast Du schon mal eine hüpfende Raupe gesehen? Ich muss festen Boden unter den Füßen haben., sonst kann ich mich nicht fortbewegen.“ „ Lass mich nachdenken“ sagte Athos „Du brauchst also was Festes unter den Füßen, ja?“ „Jaaaa“  bibberte die Raupe „und ich brauch das sofort, denn sonst reißt mich der Bach mit und dann bin ich verloren“ 

Athos hatte plötzlich eine Idee. Er sah einen heruntergefallenen Zweig, der sich hervorragend als Brücke verwenden ließ. Also zerrte er mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, den Zweig zum Ufer.  Dann schob er den Zweig ganz vorsichtig zu dem Blatt. „Jetzt schnell, kleine Raupe. Halt dich fest! Ich zieh Dich raus“ Die Raupe krabbelte so schnell sie konnte auf das Zweiglein und hielt sich mit ihren hundert Beinchen fest. „Zieh“ schrie sie „mein Blatt wird vom Bach weg gespült“ Athos zog,  und mit einem Ruck hatte er die kleine Raupe ans Ufer befördert. „Vielen, vielen Dank“ strahlte die Raupe - „ohne Dich hätte ich das nie geschafft. Wenn ich erst ein Schmetterling bin, komme ich Dich mal besuchen. Wo wohnst Du denn?“ „Meine Brüder und ich, wir wohnen im Reich der Haselmaus-Königin direkt am Roggenfeld. Wir freuen uns, wenn Du uns besuchen kommst.“ Plötzlich fiel Athos ein, dass er hier mutterseelenallein im Wald stand und dass seine Brüder weit, weit weg waren. Er hatte keine Ahnung, wie er sie finden sollte. Wäre er bloß nicht von seinem Bruder weg gelaufen.
Aber jetzt war er zu müde sich Sorgen zu machen - schließlich war  morgen auch noch ein Tag.


19.     Der Schmetterling



Erschöpft von dem Abenteuer, das Gewitter überlebt und die Raupe gerettet zu haben, schlief er sofort auf dem weichen Moos ein. Der Regen hatte aufgehört. 

Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, sah alles blitzblank geputzt aus.  Er hatte unter einem Busch geschlafen, und wie er nun nach oben sah, war da so ein ganz komisches Gebilde. Es sah aus wie eine Tasche, doch diese Tasche bewegte sich. Plötzlich platzte sie auf und ein buntes Etwas schaute aus dem Riss. Der Riss vergrößerte sich,  und mit einem Mal - Athos wollte seinen Augen kaum trauen - entfaltete sich vor seinen Augen ein wunderschöner Schmetterling. 

„Ui, wer bist Du denn?“ fragte er. „ Du erkennst mich sicher nicht. Ich bin’s, die Raupe, die Du gestern gerettet hast. Du hast es möglich gemacht, dass ich doch noch ein Schmetterling werden durfte“
Er breitete seine Flügel aus und fing an schaukelnd die ersten Flugversuche zu machen.
 „Toll, was Du kannst“ staunte Athos... „Kannst Du, wenn Du etwas höher fliegst auch weiter sehen?“ 
„Natürlich“ antwortete der Schmetterling. 
„Kannst Du mal ganz hoch fliegen und schauen, ob Du einen großen dicken Mausejungen siehst der nach mir sucht?“ 
„Klar doch“ meinte der Schmetterling und schwang sich, immer noch leicht schwankend nach oben. Nach ein paar Minuten kam er zurück. 
„Ich glaube, ich habe Deinen Bruder gesehen“ Du musst nur in nordöstlicher Richtung laufen, dann kannst Du ihn gar nicht verfehlen“. 
„Ach Raupe - Verzeihung Schmetterling - ich weiß doch nicht wo Nordosten liegt. Wie soll ich da Portos, meinen Bruder denn jemals finden?“ 
„Weißt Du was? Ich habe sowieso vor, in diese Richtung zu fliegen. Wenn Du mir folgst, dann bringe ich Dich zu ihm hin“ Genauso geschah es. 
Die Tiere im Wald staunten nicht schlecht, was da für ein seltsames Gespann unterwegs war. Am Boden die kleine Maus, die wie ein Hans-guck-in-die-Luft das Köpfchen nach oben reckte und der Schmetterling, der gaukelnd vor ihm her flog und immer wieder Rast machte, damit sein neuer Freund auch Schritt halten konnte. Auf einer Waldlichtung sagte der Schmetterling: 
„So, da ist Dein Bruder.“ 
Athos schaute geradeaus und da war Portos tatsächlich. 
So eine Freude!
 „Portos“ schrie er aus Leibeskräften „Hier bin ich“ 
„Ach Athos, was bin ich froh, dass Du wieder da bist. Wo bist Du denn gewesen?“
„Ich war am Bach und habe eine Raupe gerettet und die ist dann heute Morgen ein Schmetterling geworden und der hat mich hierher geführt.“  
„Danke, lieber Schmetterling, danke, danke.... „ rief Portos, aber der Schmetterling gaukelte schon über den Blumen auf der Waldwiese und freute sich seines Lebens. 
Portos sagte, „Ich hab Hunger! Lass uns schnell beim Eichhörnchen-Lager vorbei gehen und  was zu Essen einpacken. Aramis wartet bestimmt schon hungrig auf uns.“

Na, und ob Aramis gewartet hatte! Die ganze Nacht war er unruhig in seiner Höhle auf und abgewandert. Immer wieder hatte er zu sich selber gesagt, dass es keinen Sinn machen würde, wenn er jetzt auch noch nachts draußen rumlaufen würde,  um seine beiden Brüder zu suchen.

Was war das für ein Jubel, als die Zwei bepackt wie der Nikolaus zu Weihnachten mit den frischen Essensvorräten ankamen. Sie hatten alles auf ein Grosses Blatt gelegt und zu ihrer Höhle transportiert. Als alles gut in der Vorratskammer verstaut war,  gab es erst einmal ein ausgiebiges Frühstück und dann durften Athos und Portos von ihren Erlebnissen erzählen.

Aramis hatte sich das alles angehört und sinnierte lange vor sich hin. Sie mussten lernen, sich zu zurecht zu finden. In Zukunft mussten sie verhindern, dass sie immer wieder in der Wildnis verloren gingen!
Doch das ist eine andere Geschichte.....


20.     Drei Mäuse Pfadfinder



„Was ist denn los?“ fragte Portos, denn so schweigsam kannte er seinen Bruder gar nicht. 
„Oh, ich denke gerade nach, wie wir am schnellsten lernen können, uns in dieser Wildnis zurecht zu finden. Ich schlage vor, dass wir vorerst nur ganz kleine Ausflüge machen und uns nicht zu weit von unserer Höhle entfernen“. 
„Das geht nicht“ protestierte Portos, „wir haben es doch dem Eichhörnchen versprochen, dass wir ihm im Winter bei der Futtersuche helfen. Außerdem hat irgend so ein Egoist die ganzen Himbeeren weg gefuttert. Hier um unsere Höhle herum gibt es außer ein paar Roggenkörnern nichts zu futtern“ 
„Hmmmm,“ meinte Aramis, ”dann muss ich noch einmal gründlich nachdenken.“
Er lehnte sich gegen einen Strohballen, schloss die Augen, wippte mit den Füßen und seine Brüder meinten schon, er wäre eingeschlafen... 
Plötzlich sprang Athos auf: „Ich weiß was wir machen. Kennt Ihr noch die Geschichte von Hänsel und Gretel? Die hatten Brotkrumen gestreut und haben so wieder zurück gefunden. Wenn wir Roggenkörner nehmen....???“ 
Armais sah ihn amüsiert an.
“Du hast die Geschichte wohl nicht zu Ende gelesen, sonst wüsstest Du, dass ihnen die Vögel später die Brotkrümel weg gepickt hatten und dass dann eben nicht nachhause gefunden haben“ 
„Oooch schade“, meinte Athos enttäuscht, „das wusste ich nicht“
 „Ah, wartet mal“, sagte Aramis plötzlich „die Idee an sich ist ja gar nicht schlecht. Habt Ihr schon von einem Ariadnefaden gehört?“ 
„Nöö“ , meinten die zwei Kleinen,„ müssen wir das wissen?“ Aramis verdrehte die Augen. So ein Unverstand! „Ariadne ist eine uralte griechische Geschichte. Sie sollte durch ein Labyrinth laufen, und damit sie sich nicht verlaufen konnte, hat sie eine Schnur gespannt. So hat sie sicher wieder aus dem Labyrinth rausgefunden“ 
„Was ist  denn ein Laby...was?“  fragte Athos, jetzt schon etwas neugieriger. 
„Das ist eine Höhle mit ganz vielen Nebengängen. Wenn man sich da verläuft, kann es sein, dass man gar nicht mehr raus findet,“ erklärte Aramis.
„Ja, und was hat das mit unserem Problem zu tun?“ wollte Portos wissen. 
„Na, sag ich doch. Wir spannen eine Schnur zum Eichhörnchen-Lager und finden so ganz leicht hin und zurück.“

Doch wie das manchmal so ist. Eine Idee haben und sie in die Tat umsetzen sind oft zweierlei Dinge.

Doch das ist wieder eine andere Geschichte.


21.     Die Spinne




Jetzt hatten sich die drei Brüder, Aramis, Portos und Athos, das so schön vorgestellt. Sie würden einfach eine Schnur spannen und so würden sie immer wieder heimfinden... Aber wo sollten sie eine Schnur finden? „Lass uns draußen in der näheren Umgebung sehen, ob wir was finden“ meinte Aramis. Also trotteten die Drei los.  Jeder schaute angestrengt auf den Boden, ob da vielleicht etwas läge, das sich als Schnur verwenden ließe. Aber da war nichts.
Plötzlich war es Aramis, als würde er gegen eine unsichtbare Wand laufen. Es ging einfach nicht mehr weiter. Er zappelte und zappelte und je mehr er sich bewegte, desto mehr schien er sich in ein Gewirr aus unsichtbaren Fäden zu verwickeln.
Er stieß den Mäuse-Warnpfiff aus und seine Brüder kamen sofort herbeigestürzt. „Was ist denn mit Dir los“ fragten sie unisono, als sie ihren Bruder in seiner misslichen Lage sahen. 
„Ich habe keine Ahnung“ klagte Aramis, „aber ich weiß nur,  dass ich mich kaum mehr bewegen kann. „Portos versuche seinen Bruder an den Beinen zu fassen, aber es war alles klebrig. 
„Huch, in was bist Du denn da reingetreten?“ frage er. 
„Das kann ich Euch sagen“ kam eine dunkle Stimme aus dem nahen Gebüsch. Die Brüder kniffen die Augen zusammen um zu erkennen wer da zu ihnen sprach. „Dürfen wir erfahren, mit wem wir es hier zu tun haben?“ fragte Aramis höflich.
 „Aber sicher doch“ und mit einem Satz sprang ein achtbeiniges schwarzes Wesen vor ihre Füße. Seine acht Augen funkelten vor Vergnügen. „Naaaa? Hat es Euch die Sprache verschlagen?“ fragte sie spöttisch. 
Portos fasste sich als Erster: 
„Nein, Euer Gnaden,  ... nur .... 
"Wir haben nur so etwas Schönes wie Sie noch nie gesehen“ ergänzte Aramis.
Jetzt war es an der großen Spinne verwundert zu sein. Sie war es gewohnt, dass alle Welt erschrocken vor ihr davon lief. Und plötzlich stand da der kleine dicke Mausejunge und sagte, sie sei schön?
Sie schaute ihn aus ihren vorderen vier Augen eindringlich an - die anderen Augen behielten paarweise Aramis und Athos im Blick... 
„Sooo? Wie schön bin ich denn?“ fragte sie gedehnt. 
„Ihr seid schön wie ein funkelnder Opal, Eure Augen leuchten wie Smaragde und wenn ihr Euer Netz spinnt, dann funkeln  seine Fäden mit den Tautropfen wie kleine Diamanten“ sagte Aramis geistesgegenwärtig. Ihm war nämlich blitzschnell eingefallen, dass er in der Bibliothek ein Buch über Spinnen und eines über Edelsteine gelesen hatte. 
„Ohhhh,“ die Spinne war entzückt. So schön war sie also. Sie krabbelte vor den Jungen auf und ab, drehte und wendete sich und wollte noch einmal wissen 
„Bin ich wirklich so schön?“ 
„Oh ja“ , riefen alle drei wie aus einem Mund und wenn sie es genau überlegten - diese große schwarze Spinne war wirklich von einzigartiger Schönheit.
„Oh, das ist wirklich nett von Euch“. Sie tänzelte grazil auf dem Faden, den ihr Versteck mit dem unglücklichen Aramis verband. Mit verschränkten Vorderfüßen baute sie sich vor Aramis auf und meinte: „Was haben wir da für ein Malheur?“ Aramis dachte, dass Malheur nur ein schöneres Wort für Unglück war, und hoffte er würde mit dieser offensichtlich gebildeten Spinne eine vernünftige Unterhaltung führen können. „Ja, Euer Gnaden sehen mich in einer misslichen Lage. Ihr habt Euer Netz so fein gesponnen, dass selbst eine so eine scharfsichtige Bücher-Maus wie ich  hineinstolpern musste...“ 
„Hihihi“ kicherte die Spinne. „So ist es recht, schließlich lebe ich davon, dass meine Netze besonders fein  sind.“  
„Ja, Euer Ehren, Ihr habt da etwas ganz Besonderes geschaffen, aber sagt mal, seit wann fangen denn Spinnen Mäuse?“
 „Ja, wenn Du so fragst... „ Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß.... „Du bist meine erste Maus“ 
Sie krabbelte um ihn herum, biss auch mal probeweise in seinen Pelz. Aramis rührte sich nicht und dachte angestrengt nach. 
„Meint ihr nicht , ich könnte Euch vielleicht anderweitig eher zunutze sein als ausgerechnet als .....“ 
„Ach was“ sagte die Spinne leichthin „ich hab schon gefrühstückt und Du bist mir einfach zu unhandlich.“
 „Wäre es zuviel verlangt, wenn ich Euer Ehren bitten würde, mir die Fesseln aufzuschneiden? Meine Mäusebrüder bleiben sonst an mir kleben und dann können wir uns alle drei nicht mehr rühren.“
 Diese Idee schien die Spinne ungeheuer zu erheitern. „Hu Ha Ha, drei Mäuse auf einen Streich .... aber was solls - ich hab heute meinen netten Tag und weil ihr mir so schöne Komplimente gemacht habt, will ich Dich mal befreien.“  Geschickt knackte sie eine klebrige Fessel nach der anderen, bis Aramis frei war.
Der schüttelte sich erst mal und prüfte, ob auch noch alle Gliedmassen dran waren. Dann machte er eine tiefe Verbeugung und sprach: 
„Meinen ergebensten Dank. Wann immer wir etwas für Euer Ehren tun können, lasst es uns wissen. Wir stehen tief in Eurer Schuld.“ 
„Ach, was!  Es war Spaß, mit euch zu plaudern. Vielleicht können wir das bei Gelegenheit wiederholen“. Mit einigen bestimmten Handgriffen hatte sie ihr ramponiertes Spinnennetz wieder notdürftig geflickt.
Dann  kletterte sie auf ihrem Faden zurück ins Gebüsch. 
Die drei Mausgetiers mussten sich erst mal setzen. „Puh, das war ja knapp“ sagte Portos zu Aramis. 
„Auf was man in der Wildnis alles achten muss...“ 
„Warte mal“ sagte der kleine Athos, „wir waren doch auf der Suche nach einem Seil, richtig?“ er schaute rüber zur Spinne, die schon wieder selig in ihrem Beobachtungsposten schaukelte.
 „Ja, schon, sagte Aramis“ aber wir sollten aber nicht gleich beim ersten Schritt dran kleben bleiben, nicht wahr“ 
Dagegen gab es nichts,  aber auch gar nichts einzuwenden. Wo Aramis recht hatte, hatte er recht...
Aber so ganz wollte er noch nicht aufgeben
„Sag mal Aramis“, fragte er seinen großen Bruder, „Du hast doch so viele schlaue Bücher gelesen, hast Du da nichts über Seile gelesen, die in der Natur so vorkommen? „ Aramis dachte nach, aber es wollte ihm nichts Gescheites einfallen. So wanderten die Drei zurück in  Richtung Heimat, denn sie wollten sich ja nicht noch mal verlaufen.

Zuhause wurde erst mal die Speisekammer begutachtet. „Wir müssen bald schon wieder was holen“ brummte Portos „Ich muss regelmäßig essen, sonst fall ich um“
 „Jaja, Du gefräßiges Ungeheuer“ scherzte Aramis. „Wir werden Dich schon satt bekommen. Aber morgen ist auch noch ein Tag... Jetzt wird erst mal geschlafen“. 
Doch da wussten sie noch nicht, wie spannend die Nacht werden würde....
Aber das ist wieder eine andere Geschichte....


22.     Die Fledermaus



Die drei Mausgetiers schnarchten um die Wette, der Vollmond tauchte den Wald in ein silbern glänzendes Licht und alles atmete Frieden. 
Doch plötzlich 
Wusch - wusch - wusch huschten schwarze Gestalten durch die Luft. Aus der Ferne hörte man kurz darauf das Huh-huh des Uhus. Portos, der wach geworden war, weil er schon wieder hungrig war, äugte durch die Öffnung des Haupteingangs. 
„Quiiiieeeeek!“ Ein markerschütternder Schrei hallte durch die Nacht. 
„Hiiiiiilfe!“ hörte Partos. Er schlüpfte ganz aus der Höhle und sah zu seinem Entsetzen einen riesigen Vogel, der etwas Schwarzes in seinen Krallen hielt. Der Vogel hatte sich gerade direkt vor seiner Höhle niedergelassen.
“Hiiilfe, hilft mir denn keiner?“ 
„Warte, ich komme,“  rief Portos. Er nahm das große Blatt, mit dem sie die Vorräte heim transportiert hatten, biss blitzschnell zwei Augenlöcher in den oberen Teil und fertig war die angsteinflößendste Maske, die der Wald je gesehen hatte. Er war sich im Klaren, dass der Uhu,  was immer er auch in den Krallen hielt, nicht so ohne weiteres aufgeben würde, wenn er ihn anbrüllen würde. Hier musste ein richtiges Täuschungsmanöver her.  Er stellte seine Stimme so tief  wie es nur ging und knurrte den Uhu an. 
„Was glaubst Du, was Du da machst?“ Doch der Uhu reagierte nicht. Er hielt die kleine schwarze Kreatur in seinen Krallen und seine riesigen gelben Augen fixierten Partos - pardon, den grossen Ritter Partos - ganz genau. Partos dachte sich 
„Jetzt oder nie“ und machte mit einem furcht erregenden Fauchen einen Riesensatz auf den Uhu zu. Der, weil von Haus aus kurzsichtig,  war sich nun plötzlich nicht mehr sicher, ob er es hier nicht vielleicht doch mit seinem Feind, dem Luchs, zu tun hatte. Jedenfalls ließ er das kleine schwarze Bündel fallen, kaum dass er angesetzt hatte, sich in die Lüfte zu schwingen. Ein paar lautlose Flügelschläge und der Spuk war vorbei. Portos sprang sofort zu dem kleinen schwarzen Etwas und blickte in das süßeste Mäusegesicht, das die Welt je gesehen hatte. 
„Ja, wen haben wir denn da?“, fragte er hocherfreut. 
„Bist Du etwa eine entfernte Cousine?“
Die kleine schwarze Kreatur schüttelte sich und Portos registrierte mit Erstaunen, dass der Maus offensichtlich Flügel gewachsen waren. Er erinnerte sich an die Engelgeschichten, die Mutter dem kleinen Athos immer als Gutenachtgeschichte erzählt hatte und fragte atemlos: 
„Bist Du etwa ein Engel????“ 
Da musste das kleine schwarze Wesen doch sehr lachen. Sie lachte so sehr, dass man meinen konnte, es seien plötzlich lauter kleine Glöckchen in Schwingung geraten. Klar und silberhell perlte ihr Lachen durch die Nacht. „Ach, Du bist ja zu süß,“ sagte sie mit feinem Stimmchen, „nein, ich bin kein Engel, aber ich kann fliegen“ Sie spreizte die Flügel anmutig und Portos konnte sich gar nicht statt sehen.  „Was bist Du denn dann?“, fragte er. Portos hatte sich in seinem Leben immer mehr auf das Essen als auf das Lernen konzentriert. Deshalb war sein Bildungsstand eher als „halbvoll“ zu bezeichnen. Aber das engelsgleiche Wesen nahm ihm seine Unwissenheit nicht krumm. „Hast Du schon mal was von Fledermäusen gehört?“ „Nö,“ sagte Portos, und nahm widerwillig von der Idee Abschied, das er einen Mause-Engel getroffen hatte...
 „Wir sind Fledermäuse. Wir leben im alten Wehrturm 35 Grad Süd-Süd-Ost von hier“ „Wie kannst Du das so genau sagen?“  fragte Aramis. Er war von der Diskussion wach geworden und nach draußen gekommen.  „Oh, das weis doch jeder“ sagte die kleine Fledermaus schnippisch. Sie stieß ein paar komische Laute aus, die Aramis und Portos in den Ohren gar nicht gut taten. Sie hielten sich die Ohren zu. 
„Oh, Verzeihung ... Ultraschall... Ich vergesse immer, ihn abzustellen, wenn ich nicht mit der Familie unterwegs bin.“ 
Dann schwatzte die kleine Fledermaus munter weiter.... 
„wir wohnen als Großfamilie im Wehrturm. Da müsst Ihr uns unbedingt mal besuchen kommen. Wir haben einen tollen Hängeplatz da drin.“
„Einen was???“ Athos war nun auch dazu gekommen und „hängen“ klang in seinen Ohren überhaupt nicht lustig. Aber die Kleine erzählte weiter: „Wir Fledermäuse haben doch keine Höhle wie ihr, sondern wir hängen uns, Kopf nach unten in einer Reihe zum Schlafen ganz hoch oben ins Gebälk. Das ist suuuper, wir haben da den totalen Überblick und es  kommt auch kein Uhu oder sonstiges Raubtier hin.“
„Und warum bist Du dann hier gelandet? “ wollte Aramis wissen. 
„Oh, ich geh noch in die Orientierungs-Schule und hab mich ein bisschen verpeilt.“
 „Passiert Dir das öfter?“ fragte Aramis „Wie findest Du denn dann wieder heim?“ 
Aramis glaubte der Lösung seines Problems ganz nah zu sein. Sich nie wieder verlaufen, das wäre es doch. „Wie machst Du das denn? Heimfinden, meine ich,“ wollte er wissen. 
„Ach, eigentlich ganz einfach. Ich pfeife und was ich an Schall zurück bekomme verrät mir,  wo Hindernisse sind. So brauche ich kein Licht zum Fliegen. Und das Gefühl für die Richtung ist - wie soll ich‘s sagen -  eingebaut.“
„Kann ich das lernen?“ wollte Aramis wissen, denn er sah sich schon als der große Navigator, der seine Brüder überall hin und zurück führen konnte. 
 „Weis ich nicht . Ich habs selbst noch nicht so drauf. Da musst Du mal unsere Instruktoren fragen.“ 
„Aha“, meinte Aramis etwas ungläubig, „und wo sind Deine Instruktoren?“  
„Hab ich doch schon gesagt,“  sagte die kleine Fledermaus ungeduldig. „35 Grad Süd-Süd-Ost und da kannst den Wehrturm nicht verfehlen.“ Und ehe Aramis noch eine Frage stellen konnte, schwang sie sich mit leise schwirrendem Flügelschlag nach oben. Drehte vor lauter Übermut noch ein paar Runden direkt über den Köpfen der  drei Mausgetiere, tschirpte ein fröhliches „Man sieht sich“ und war in der Dunkelheit verschwunden.

Sollte das die Lösung des Problems sein?
Doch das ist eine andere Geschichte.....



23.     Aramis lernt  Fledermaus-Orientierung



„Das muss ich ausprobieren,“ meinte Aramis. Insgeheim wünschte er sich aber, er wäre jetzt in der Bibliothek und könnte erst mal alles über Fledermäuse nachlesen. Aber das war im Moment unmöglich. 
Deshalb beschloss, er das gelernte gleich aus zu probieren. Er kniff die Augen ganz fest zu, pfiff so laut er konnte und lief los. Pardauz, da hatte er den Baumstamm erwischt. „Naja,“ dachte er bei sich, „Aller Anfang ist schwer.“ Also kniff er die Augen noch fester zu, pfiff doppelt so laut und wanderte wieder los. Rumms machte es.... und dann ging es unaufhaltsam bergab. Er kugelte eine ganze lange Böschung hinunter. Er schrie vor Entsetzen, weil er nicht wusste,  wohin die Reise ging. Portos flitzte sofort los, um seinem Bruder zu helfen. Zum Glück war ihm nichts passiert. Der Sturz wäre auch gar nicht schlimm gewesen ...  aber unten war Aramis direkt auf der Haselmaus-Königin gelandet, die dort ihren Nachtspaziergang machte. 
Na, was die von sich gab, das war so un-majestätisch, dass man es hier gar nicht wiedergeben kann. Jedenfalls hat sie dem Aramis ordentlich die Leviten gelesen. Was ihm denn einfiele, nachts über ältere Damen zu purzeln?  

Ach,  war das Aramis peinlich. 
„Verzeihung Hoheit,“ sagte er mit leiser Stimme. „Ich hätte es nie gewagt, absichtlich so über Euch zu fallen“ 
„Was hast Du denn zu nachtschlafender Zeit draußen zu suchen? Ihr habt doch diese wunderschöne Wohnung. Warum seid ihr nicht längst in Eurer Höhle?“ 
„Wären wir ja,“ schaltete sich Portos ein, 
„wenn sich die kleine Fledermaus nicht zu uns verirrt und vom Uhu gefangen genommen worden wäre.“
 „Soso“  sagte die Haselmaus ungläubig. „und sag nur noch,  dass  Du sie gerettet  hast?“ 
„Jou“ sagte Portos, und errötete bis in die Haarspitzen, denn soviel Aufmerksamkeit war er nicht gewöhnt.
„Ja, los erzähl mal...“ drängte die Haselmaus-Königin und Portos erzählte ihr ganze Geschichte.

Als sie zu dem Punkt kamen, wo Aramis die Orientierung wie eine Fledermaus ausprobieren wollte, da musste die Haselmaus-Königin doch sehr lachen. 
„Ihr seid doch wirklich die Höchsten“ rief sie, „so was hat die Welt noch nicht gesehen.“ Sie kugelte sich vor Lachen.
„Hahahah, die Feldmaus, die eine Fledermaus sein will - ich fass es nicht....“
Aramis verzichtete auf die Klarstellung, dass er eine Büchermaus sei, denn er konnte sich gut vorstellen, dass die Haselmaus-Königin wenig beeindruckt gewesen wäre.

„Na, dann will ich mal weiter. Brich Dir nicht den Hals, du „Möchte-gern-Fledermaus.  Man sieht sich“. 
Die Nacht war noch lange nicht rum. Aramis war auch nicht mehr nach  Abenteuern zumute. „Gehen wir noch eine Runde schlafen“ gähnte er. „Morgen ist auch noch ein Tag...“ Fünf Minuten später war kein Laut mehr aus der Höhle zu hören. Alles schlief... oder vielleicht doch  nicht?

Doch das ist eine andere Geschichte.....


24.     Portos Nachtwanderung



Portos hatte versucht einzuschlafen. Aber es wollte ihm einfach nicht gelingen. Immer wieder hatte er das süße Gesichtchen der kleinen schwarzen Fledermaus vor Augen. Wie gerne hätte er nun auch Flügel gehabt und wäre mit ihr geflogen. Nur Er und Sie - Sie würden beide durch die Nacht segeln. Durch eine Nacht die samten dunkel und voller Geheimnisse war... 
Nachdem er sich lange in und her gewälzt hatte, dachte er bei sich, dass es ja nicht schaden könne, mal auszuprobieren, ob Süd-Süd-Ost 35 Grad in der Richtung war, in der die süße Kleine abgesaust war. Er schlich sich aus der Höhle, nahm sich noch einen großen Happen zu essen mit und lief los. Zunächst ging es ganz einfach. Immer den Weg entlang. Doch an der ersten Weg-Gabelung kamen ihm Zweifel. Welchen Weg sollte er nehmen. Wenn Sie doch nur käme und ihm den Weg zeigen könnte. Aber ringsumher war nur schwarze undurchdringliche Nacht.
Selbst die Sterne hatten ihr Licht ausgeknipst und der Mond war hinter den Baumwipfeln verschwunden. So tastete er sich auf dem Weg vorwärts, entschied sich nach langem Überlegen für die rechte Weg-Gabelung und pfiff ein kleines Lied, weil er sich so alleine fühlte. 
Langsam wich die Dunkelheit. Die ersten Vögel regten sich im beginnenden Morgen in ihren Nestern und wie goldene Finger suchten die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg durch das Dickicht. Portos fühlte sich mit etwas Licht schon wesentlich wohler. Er war halt keine Fledermaus, dachte er wehmütig. 
Ganz in der Ferne sah er einen Turm . Ob das der besagte Wehrturm war? Er lief einen Zacken schneller, denn er wollte jetzt unbedingt und so schnell wie möglich die kleine Fledermaus wieder sehen. Er hatte keinen Blick für die Hasen, die sich wieder in ihre morgendliche Keilerei verwickelt hatten. Er sah auch nicht, wie eine Rehmutter ihr junges Kitz aus dem Dickicht heraus auf die saftige Wiese führte.... 
Doch plötzlich zerriss ein scharfer Knall die morgendliche Stille.  
Was war das denn?
Doch das ist eine andere Geschichte.....


25.     Der Jäger



Die Hasen rannten, was die Pfoten hergaben, in zwei verschiedene Richtungen davon. Nur die Rehmutter blieb wie angewurzelt stehen. „Mein Kleines kann noch nicht so schnell rennen und tragen kann ich es auch nicht - was soll ich denn machen?“  rief sie verzweifelt. 
Ihr war klar, dass der Schuss des Jägers sie nur verfehlt hatte. Als Portos begriff,  was da passierte, sauste er so schnell er konnte in die Richtung, aus der der Schuss gekommen war. Da war eine Leiter -  ein Hochstand. In dem Hochstand saß ein Mensch. Portos glaubte jedenfalls,  dass das einer war. Flugs kletterte er auf den Hochstand. Gerade als der Jäger das Gewehr noch einmal in Anschlag bringen wollte, sauste er ihm innerhalb eines Hosenbeines hoch und biss ihn herzhaft in die Wade. 
„Kruzitürken“ schrie der so Attackierte. 
„Wos is jetzt des.“ Das Gewehr fiel ihm aus der Hand, den Hochstand hinunter,  und als es auf dem Boden auftraf,  löste sich noch ein Schuss. Jetzt war der letzte Ahnungslose im Wald gewarnt. Portos machte,  dass er aus dem Hosenbein weg kam, bevor der Jäger ihn packen konnte. Er flitzte die Leiter hinunter und hielt nach der Rehmutter Ausschau. Sie hatte es offensichtlich geschafft. Von ihr und ihrem Kitz war nichts mehr zu sehen. Erleichtert machte sich Portos auf den Weg. 

Was für ein Morgen! Das musste er unbedingt seiner neuen Freundin erzählen, sie würde es kaum glauben können.... 
Aber wie das so ist, wenn die Gedanken schneller sind als die Füße, dann passiert etwas Unvorhergesehenes.
Doch das ist eine andere Geschichte.....

26.     Die Wildschweine

Portos stolperte und fiel direkt in eine riesige Schlammpfütze. 
„Wer wagt es sich in unsere Suhle zu setzen?“ kam eine scharfe Stimme aus dem Hintergrund. „Oh, nichts für ungut, ich bin gleich wieder weg,“ wollte er noch sagen, da war er schon von 6 kleinen gestreiften Vierbeinern umringt. Eigentlich sahen sie urkomisch aus, aber sie schauten so angriffslustig, dass Portos das Lachen verging. Die 6 Kleinen wichen zurück, als ein riesiges Tier mit noch riesigeren Hauern auftauchte. Portos blieb das Herz fast stehen. Das war bestimmt ein Wildschwein-Eber. Das gefährlichste Tier im Wald! 
„Was würde sein Bruder in dieser Situation gemacht haben?“ überlegte er fieberhaft. Ein grausiges Röcheln und Grunzen ließ ihm alle Haare senkrecht zu Berge stehen. Noch nie hatte sich Portos, der sonst so unerschrockene Mäusejunge, so sehr gefürchtet. 
„Dich werd ich lehren, einfach so hier einzudringen!  Ich werde Dich meinen Kleinen zum Spielen geben, dann wirst Du schon sehen, wie es einem bekommt, bei uns einzubrechen.“

Portos schloss die Augen und dachte, wie schön es doch gewesen wäre, wenn er statt der Wildschweine die süße Federmaus getroffen hätte,  und er hatte auch schon fast mit seinem Leben abgeschlossen, als er plötzlich eine sanfte Stimme hörte.
 
„Lasst ihn gehen,“ sagte die sanfte Stimme. 
Portos öffnete vorsichtshalber erst mal ein Auge. 
Er sah ein kleines Rehkitz. Als er das zweite Auge öffnete, sah er die Rehmutter, die sich zwischen ihn und die Frischlingsmeute gestellt hatte. 
„Gib mir einen guten Grund“ brummte der Eber. 
„Dass Du noch lebst und dass Deine Kinder noch leben.“  
„Höhö” grölte der Eber, “gehts nicht ne Nummer kleiner? Der Winzling soll uns, die wir so groß und stark sind, das Leben gerettet haben?“ 
Doch die Rehmutter ließ sich nicht beirren 
„Hast Du vorhin die zwei Schüsse gehört?“ 
„Ja,“ musste der Eber zugeben, die hatte er gehört.  
„Hast Du daraufhin nicht den Ausflug auf die Waldwiese mit Deinen Kleinen gestrichen, weil Du gehört hast, dass der Jäger da ist?“ 
„Schon“ gab der Eber zu, „aber was hat das mit dieser Winzigkeit da zu tun?“
„Ganz einfach, dieser Held hat den Jäger abgelenkt und ins Bein gebissen. Dadurch konnte ich mit meinem Kind fliehen und Du bist gar nicht erst in die Schusslinie geraten....“ 
„Ist das auch wahr?“ fragte der Eber ungläubig. Seine Kinder starrten Portos nun mit unverhohlener Neugier an. So sah also ein Held aus? Na, Helden hatten sie sich anders vorgestellt!
„Ja wenn das so ist“ sagte der Eber grinsend, nahm Portos vorsichtig auf die Hauer und ließ ihn in Richtung seines riesigen Rüssels rutschen. „Jetzt ist alles aus“ dachte Portos bei sich, da hörte er einen dicken Schmatz und sein ganzes Gesicht war nass. Er war gehüllt in eine Wolke von Wildschwein-Atem, so dass es  ihm ganz schwindlig  wurde.   Nach einer kleinen Ewigkeit wurde er vorsichtig wieder abgesetzt.  
„So, mein kleiner Freund”, sagte der Eber. „Ich habe dich mit dem Schweinekuss nun in unsere Rotte aufgenommen. Wenn Du jemals Hilfe brauchst,  hast Du in uns die stärksten Verbündeten im ganzen Wald.“
Portos war schwer beeindruckt.
„Oh, das ist aber großzügig.   Darf ich Euch gleich um einen Gefallen bitten ?"
„Nur zu, raus mit der Sprache“ 
„Ich möchte so gerne zu dem alten Wehrturm, weil ich dort einen dringenden Besuch abstatten muss.“
„Naja“, meinte der Eber, „das ist nicht gerade unser Lieblingsplatz, weil sich dort immer die Hirsche rumtreiben und mit denen haben wir immer Streit. ...   Aber gut, für Dich und weil Du es bist, mach ich eine Ausnahme“.
Er stieß einen scharfen Pfiff aus und sofort duckten sich die Wildschweinkinder flach auf den Boden. „Ihr bleibt so liegen bis ich wieder da bin, verstanden? Keiner rührt sich. Komm, Portos,  hüpf auf meinen Rücken, dann sind wir schneller“. Und so ging es im Schweinsgalopp durch die Nacht Richtung Wehrturm.

Portos hielt sich an den Nackenhaaren des Ebers fest. „Meine Güte“, was für eine Duftnote“, dachte er bei sich und beschloss sich in Zukunft regelmäßig zu waschen und auch seine Brüder dazu anzuhalten. 

War das eine aufregende Reise. Und sie war noch nicht zu Ende!  
Doch das ist eine andere Geschichte.....


27.     Die Hirsche



Nachdem sie eine ziemliche Strecke zurückgelegt hatten, schlug der Eber plötzlich einen Haken, dass Portos fast von seinem Rücken gepurzelt wäre. Dann blieb er abrupt stehen. „Hirsche“ keuchte er „denen möchte ich nicht begegnen. Mit denen hatte ich das letzte Mal eine sehr unerfreuliche Auseinandersetzung.“ 
Portos spitzte über den Kopf und sah zwei Hirsche. Einer trug ein riesiges Geweih, das er immer wieder am Baumstamm wetzte.
„Oje, das kann dauern“ sagte der Eber und lief langsam rückwärts aus dem Dickicht, in dem er sich versteckt hatte.  „Der Hirsch muss sein Geweih abwerfen, damit ihm eine neues größeres wächst. Das dauert mir zu lange, deshalb müssen wir einen kleinen Umweg machen.“ 
„Warum hat eigentlich der andere Hirsch kein Geweih?“ fragte Portos. „Du Dummer“, lachte der Eber, „das ist doch eine Hirschkuh, die hat kein Geweih.“ „Aha“, meinte Portos „Wieder was gelernt.“  Und er nahm sich vor, Aramis, seinen schlauen Bruder,  zu fragen, was denn eine Hirschkuh sei. Nochmals wollte er sich nicht mit seiner Unwissenheit blamieren. Nachdem sie im Zickzack-Kurs durch den Wald gesaust waren, denn die Hirsche schienen überall zu sein, kamen sie an eine große Lichtung.

 Mitten auf dieser Lichtung stand ein riesiger Turm. Eine steile Holztreppe führe zu einer Aussichtsplattform. 
„Wartest Du auf mich“ fragte Portos. „Ich würde sonst nicht mehr heimfinden“ „Klar“ brummte der Eber gutmütig, schmiss sich auf die Seite und schon im nächsten Moment erschütterte ein ohrenbetäubendes Schnarchen den ganzen Wald. Portos war nun ganz beklommen zumute. Was, wenn sich die kleine süße Fledermaus gar nicht freute ihn zu sehen?  Was würde ihre Familie dazu sagen, dass eine gewöhnliche Bücher-Maus zu Besuch kam? 

28.     Portos Besuch bei den Fledermäusen

Er holte tief Luft und kletterte behände die Stufen hinauf. Auf der Aussichtsplattform hatte man eine wunderbare Sicht über den gesamten Wald bis hinunter in ein liebliches Tal. Aber Portos hatte kein Auge für die Schönheit der Natur. Er kletterte nun innen im Turm die steilen Treppen hoch. Staubig war es da und jede Menge Spinnweben flatterten im leichten Morgenwind. Als er ganz oben angekommen war, blieb er atemlos stehen. Hier wohnte sie also. Er stieß einen leisen Pfiff aus. Nichts. Keine Reaktion. Er pfiff nochmals, nun etwas lauter. Wieder nichts. Er schaute sich um und konnte keine Fledermaus Familie entdecken. Wo konnte sie bloß sein? Plötzlich hörte ein unterdrücktes „Hatschi“ Und das kam von ganz oben...
Er legte den Kopf in den Nacken und sah hoch. Im Dunkel des Dachstuhls sah er einige dunkle Flecken. Sollten das Fledermäuse sein? Er pfiff nun so laut er konnte..... 

Aber das hätte er besser nicht gemacht. Einem Bienenschwarm gleich stürzten sich Hunderte von Fledermäuse auf den erschrockenen Portos. Als alle gelandet waren trat eine große, imposante Fledermaus vor. 
„Wer stört ?“ fragte er streng. 
„Ich, Eure Majestät. Aber Ihr müsst entschuldigen. Ich wollte nicht die gesamte Familie wecken“ 
Die große  Fledermaus schnaubte verächtlich 
„Was bildet Er sich ein? Wie kommt Er dazu, einer ganzen Sippe den Schlaf zu rauben? Fesseln und zu uns in die Schlafkammer sollten wir ihn zur Strafe hängen, damit er lernt,  die Sitten der anderen zu respektieren!“
 „Oh bitte nein“ piepste ein Stimmchen aus dem Hintergrund. „Ich glaube der freundliche Mausejunge wollte nur einen Besuch machen. Er konnte ja nicht wissen, das wir tagsüber schlafen müssen“ 
„So, brummte der Fledermaus-Chef - aber schon etwas freundlicher - „und wen bitte schön wollte er besuchen?“ 
„Papa, er wollte mich besuchen. Er hat mir gestern das Leben gerettet. Ich war schon in den Krallen des Uhus, als er ihn mit einer List abgelenkt hat. Nur so konnte ich entkommen......“ 
Engelsgleich, so schien es, war seine kleine Freundin vom Schlafbalken herunter geschwebt.
Der Fledermaus-Vater strahlte nun über das ganze Gesicht. 
„So“, sagte er, „meine süße kleine Tochter habt Ihr gerettet. Dann will ich Euch den Besuch zur Unzeit verzeihen. Kommt doch mal um Mitternacht. Wir laden Euch zum Nachtmahle ein.“ 
Da musste Portos passen. 
„Ich glaube nicht, dass ich eine Transportmöglichkeit in der Nacht finde und zum Laufen ist es viel zu weit. Wir, das sind meine Brüder Aramis, Athos und ich, wir wohnen im Reich der Haselmaus-Königin gleich neben dem Roggenfeld.“ 
„Fein, dann kommen wir Euch heute Nacht besuchen. Ist Mitternacht recht?“ 
Portos schluckte, denn er wusste noch nicht, wie er Aramis und Athos das alles erklären sollte.
 „Ja,“ sagte er „Wir freuen uns....“ „Hoffentlich freuen sich meine Brüder auch“ dachte er insgeheim.... 
Er verbeugte sich vor der süßen kleinen Fledermaus und ihrem strengen Vater und sauste pfeilschnell die Außenwand des Turms hinunter. Er weckte den Eber und der brachte ihn zurück zum Roggenfeld.
Als er sich auf Zehenspitzen in die Höhle schleichen wollte, wurde er schon erwartet. Aramis und Athos standen vor ihm und schauten ihn vorwurfsvoll an.

„Kannst Du mir vielleicht erklären, wo Du her kommst? schimpfte Aramis. „Es ist jetzt heller Tag und Du warst die ganze Nacht weg.“ 
„Ja,“ fügte Athos hinzu „Du kannst doch nicht einfach so verschwinden. Was glaubst Du denn? Wir haben uns solche Sorgen gemacht ..... Ich hatte sooo Angst, dass Du verloren gegangen wärst.....“ Beim Gedanken an die Angst kullerten ihm gleich ein paar Tränen über das Gesicht.

Portos war ganz zerknirscht. 
„Ich wollte Euch nicht ängstigen,“ sagte er, „aber ich konnte nicht schlafen, und da habe ich der kleinen Fledermaus von heute Nacht einen Besuch abgestattet.“ 
Er sah große Verwunderung in den Gesichtern seiner Brüder. 
„Du hast ... waaaas ???“ fragte Athos.
„Du warst ...woooo????“ fragte Aramis. 
„Wie bist Du denn da hin gekommen?“ 
Er erzählte seinen atemlos lauschenden Brüdern die ganze Geschichte, vom Jäger, der Rehmutter und ihrem Kitz, der Wildschweinrotte und wie es kam, dass er in die Wildschwein-Rotte aufgenommen worden war.  
„Und der große Eber hat Dich höchstpersönlich spazieren getragen?“ 
„ Jawohl“, meinte Portos lässig. „So war es“ 
„Na, Du bist mir einer,“ sagte Aramis stolz.  Er hätte ja nie gedacht, dass sein kleiner Bruder so ein gefährliches Abenteuer ohne seine Hilfe bestehen konnte. 

„Komm, wir hauen uns noch eine Stunde aufs Ohr, Schlaf nachholen.“ Portos war es recht und innerhalb von einer Minute schliefen alle drei tief und fest.

Das nächste Abenteuer würde bestimmt nicht lange auf sich warten lassen.
Doch das ist eine andere Geschichte.....



29.      Erntezeit



Sie wussten nicht, wie lange sie geschlafen hatten, aber mit einem mal erschütterte ein heftiges Beben die Höhle. Die Brüder fuhren von ihrem Strohlager hoch. Was war das für ein unglaublicher Lärm. Der Lärm und das Schütteln schien sich von ihnen weg zu bewegen und wieder zu kommen. Athos war außer sich vor Angst. „Ich will das nicht“ schrie er zitternd. „Das soll aufhören!“ Aramis sagte: „Ich schau mal raus.“ Doch das war leichter gesagt als getan. Der Haupteingang der Höhle war verschüttet. Er sauste zum ersten Nebenausgang, auch da war kein Rauskommen. Am dritten Auslass war  der Stopfen weg und er konnte rausschauen. Was er sah verschlug ihm den Atmen. Was um Himmels willen war denn da passiert? 

Der Roggen war weg!  Nur noch ganz kurze Stoppeln zeigten an, wo sich noch gestern die Ähren im Wind bewegt hatten. Auf der anderen Seite des Feldes kam ein riesiges rotes Ungetüm mit großen Flügeln direkt auf ihn zu. Mit zitternden Pfoten stopfte Aramis den Nebeneingang fest zu und lief zu seinen Brüdern zurück. Portos hatte Athos ganz fest in den Arm genommen und hielt ihm gleichzeitig die Augen und Ohren zu. „Ich weiß nicht, was es ist,“ schrie Aramis, um gegen den Lärm anzukommen. „Aber das sieht böse aus. Draußen ist ein riesiges Untier, das über das Roggenfeld rennt und alles kaputt macht.“ „Lass das den Kleinen nicht hören“ rief  Portos zurück, „sonst kriegt der sich überhaupt nicht mehr ein.“ Am besten, wir bleiben in der Höhle und warten ab. Wenn das Tier so groß ist, kann es ja nicht zu uns rein, oder?“ Das war ein guter Punkt und Aramis wunderte sich, warum ihm das nicht selbst eingefallen war... 
Nach einer Ewigkeit, draußen ging schon die Sonne unter, hörte der Lärm mit einem Mal auf. Man hörte Stimmen von Menschen und dann war alles ruhig. „Komm, wir schauen mal, sagte Aramis zu Portos, aber Athos protestierte. „Ich will nicht hier alleine bleiben.  Ich hab Angst, wenn das wieder anfängt.“ 
„Na gut, sagte Portos, „dann kommst Du halt mit“. 
Als sie an die Oberfläche kamen, staunten sie nicht schlecht. 
Kein Halm stand mehr, wo früher ein ganzes Roggenfeld gewesen war. Aber ganze Heerscharen von Haselmäusen und Feldmäusen waren dabei, Körner aufzulesen. Unter ihnen war auch die Haselmaus-Königin. „Guten Abend Euer Ehren“ grüsste Aramis respektvoll und hoffte, sie hätte den nächtlichen Zwischenfall vergessen. „Könnt Ihr mir erklären, was das heute für ein Lärm war?“ Die Haselmaus-Königin sah ihn verwundert an. „Weist Du nicht, was eine Ernte ist?“ „Hmmm, nicht wirklich“ musste Aramis zugeben. „Nun, dann sag ich es Euch: Immer wenn der Roggen reif ist, kommen die Menschen mit einer großen Maschine und ernten den Roggen. Sie schneiden ihn mit einem Mähdrescher ab und fahren ihn zu ihren Häusern.  Dabei fallen so viele Körner daneben, dass wir den Vorrat für den ganzen Winter sammeln können. Wir müssen aber immer sehr schnell arbeiten, denn wir müssen fertig sein bevor die Saatkrähen kommen. Die fressen alles weg, was heute Nacht übrig bleibt. „Oh, dann müssen wir uns auch sputen“ rief Aramis und sauste mit seinen Brüdern in die Höhle zurück und holte das große Transportblatt, mit dem sie schon die Eicheln und Bucheckern geholt hatten. Sie stapelten Körner auf das Blatt und wollten es in die Höhle ziehen. Aber was war das denn? Die Hälfte der Körner blieb auf der Strecke... 

Portos kam ein fürchterlicher Verdacht. „Oje, sagte er zerknirscht „Ich glaube ich bin schuld, dass unser Transportblatt zwei große Löcher hat. Ich habe es zur Maske umgebaut - ich musste doch so tun als sei ich ein gefährliches Tier,  um den Uhu zu erschrecken, damit er die kleine Fledermaus los lässt.“ 
„Tja“ meinte Aramis bedauernd, „dann wirst Du wohl ein neues Transportmittel besorgen gehen....“ 

Portos war zwar schon todmüde von dem aufregenden Tag, aber er sah ein, dass er das Blatt zumindest ersetzen musste.

Er hatte Glück, gleich nach der nächsten Wegbiegung fing der Wald an und an seinem Rand wuchsen die riesigen Bärenklau-Schirme. Schnell biss er einen Stängel ab, packte das größte  Blatt mit den Zähnen und schleppte es zum Roggenfeld. Schnell war eine Fuhre nach der anderen in der Vorratskammer verstaut und die drei Brüder fielen erschöpft auf ihr Strohlager. Schlafen.... nur noch schlafen
.... doch er hatte etwas ganz wichtiges vergessen...

aber  das ist wieder eine andere Geschichte



30.     Nächtlicher Besuch



Mitternacht war gerade vorbei, als ein Tosen die Luft erfüllte, als würde ein Sturm aufkommen. 
Hunderte und aberhunderte Fledermäuse verdunkelten den Nachthimmel. Nicht mal den Mond kannte man mehr sehen. Mit fröhlichem Getschirpe und Gepiepe ließen sich alle erwartungsvoll vor der Höhle der drei Mausgetiere nieder.

Der Fledermaus-Chef lief vor dem Eingang auf und ab. „Warum die wohl nicht rauskommen. Unverständlich...  Wir hatten doch ausgemacht, dass wir sie heute Nacht zum Nachtmahl eingeladen haben.“
 „Reg Dich nicht auf  Papa, ich geh schnell rein und weck sie auf, die schlafen bestimmt“ sagte die kleine Freundin von Portos. 
„Ts Ts,“ Der Fledermausvater schüttelte ungeduldig den Kopf. „Wie kann eine Kreatur nachts schlafen.“ 

Die kleine Fledermaus legte ihre Flügel ganz eng an den Körper, damit sie nicht stecken blieb und schlüpfte durch das enge Mauseloch. Drinnen war es stockfinster, aber das störte die kleine Fledermaus nicht im Geringsten. Sie konnte ja in der Nacht sehen. Schnell hatte sie Portos gefunden und stupste ihn sanft an. Nichts. Sie stupste nochmal... wieder nichts Sie quiekte ihm direkt mit ihrem Ultraschall ins Ohr - Das funktionierte!!! Und wie !!!  Im nächsten Moment stand Portos verdattert auf seinem Lager. „W-w-w-er ist denn da“  stammelte er, denn er hatte im Moment auch nicht mehr daran gedacht, dass er heute Nacht Besuch erwartete. Sehen konnte er auch nichts, also tastete er sich zum Höhlenausgang. Seine kleine Freundin folgte ihm. 

Im silbernen Mondlicht sah er die merkwürdigste Versammlung, die man sich vorstellen konnte. Hunderte von Fledermäusen saßen artig vor der Höhle, hatten eine riesige Tafel aufgebaut mit allem was sie für ausgesuchte Leckereien hielten. Alle Fledermäuse sahen mit ihren angelegten Flügeln und lang gereckten Hälsen so feierlich aus, als hätten sie einen Frack angezogen. Über allem schwebten Glühwürmchen und beleuchteten diese märchenhafte Szene.  Portos war überwältigt. Er tastete nach der kleinen Fledermaus und fragte: „Das ist ja unglaublich! Seid Ihr wirklich gekommen? Ist das alles für uns?“ 

„Ist das nicht toll“ strahlte die Kleine zurück. „Mein Vater will sich bei Euch bedanken.“  Portos war ganz gerührt. 
Er sagte „Ich hol mal schnell meine Brüder raus.“ 

Aramis und Athos taumelten ganz verschlafen aus der Höhle. Was sie da sahen, das hätten sie sich in ihren wildesten Träumen nicht vorstellen können. Reihe über Reihe saßen die Fledermäuse und warteten,  dass das Bankett beginnen könnte. Die Grille kam dazu und spielte,  was sie für feinste Kammermusik hielt. Die Tiere des Waldes kamen nach und nach und jedem wurde angeboten am Festmahl teilzunehmen. 

Das war ein Fest, von dem alle folgenden Generationen im Wald  noch erzählen würden..... 

Pünktlich mit dem ersten Sonnenstrahl war das Fest vorbei. Die kleine Fledermaus hauchte Portos noch ein Küsschen auf die Backe - zumindest hielt er es dafür - vielleicht hatte sie auch nur nach Mäuseart an ihm gerochen - und mit demselben Getöse wie sie gekommen waren,  machte sich die riesige Fledermaus-Kolonie auf den Heimweg.

„Lass uns noch eine Runde schlafen,“ schlug Aramis vor. 
„Ich  bin todmüde.“ Auch Athos schlüpfte sofort in sein warmes Nestchen. 

Portos sagte „Ich bleib noch ein bisschen draußen, der Morgen ist so schön.“ 
Außerdem wollte er noch mal darüber nachdenken, wie er die kleine Fledermaus wieder sehen könnte. Über all seinen  Träumen fiel er in einen festen traumlosen Schlaf..... bis er kurz darauf unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde...
Doch das ist eine andere Geschichte


31.     Der Regen



Plötzlich wurde er von riesigen Wassertropfen geweckt. Wie ein Sturzbach fielen sie vom Himmel.  Portos stieg in die Höhle und zog das Blatt, das als Schutz vor Eindringlingen diente, über den Eingang. Wie das prasselte!  Er ließ sich auf sein Strohlager fallen und schlief sofort wieder ein. 

Aramis träumte. Er träumte, dass der Biber ihm das Schwimmen beibringen wollte. Er schluckte Wasser und prustete, was das Zeug hielt, bis er mit einem Mal aufwachte und merkte, dass das Wasser kein Traum war. 
„Athos, Portos „ brüllte er „Wir müssen raus hier, hier ist überall Wasser.“ So schnell waren die Brüder noch nie aufgestanden. Sie kämpften sich gegen das Wasser, das wie ein kleiner Sturzbach in die Höhle floss, hoch zum Eingang. Das Eingangsblatt war weg. „Hast Du das Blatt nicht vorgelegt“ funkelte Aramis seinen Bruder wütend an.  Der wehrte sich. „Nein,“ rief er aufgebracht, „ich hab das Blatt vorgelegt da bin ich mir ganz sicher“. „Dann hat  es vielleicht der Wind weg geweht.“ meinte Aramis, aber er wollte es nicht ganz glauben.

In der Tat war das ein ausgewachsener Regensturm. Das Wasser peitschte den Dreien ins Gesicht und auch ihr Pelz war schon pitschnass. Athos geriet in Panik 
„Äääääähhhh Ich will zu meiner Mama, ich kann das nicht aushalten“  schrie er aus Leibeskräften. Die beiden Großen nahmen den kleinen Kerl zwischen sich und hielten ein vorbei schwimmendes Blatt wie einen Schirm über ihn. Da beruhigte er sich wenigstens wieder ein bisschen. 

„Was machen wir jetzt? fragte Aramis und Portos sagte: 
„Keine Ahnung. Wenn der Regen doch bloß aufhören wollte“ 
Ja wenn...


32.     Der Regenwurm



„Ha, Ihr seid gut“ tönte eine kleine feine Stimme aus dem Moos vor ihnen. „Ich hab die ganze Zeit gewartet, dass es endlich regnet. So komme ich wenigstens dazu, den ganzen Boden durch zu ackern....“ 
Verwundert schauten die Brüder auf ein rosafarbenes sich ringelndes, schlängelndes Etwas,  das über den Boden kroch, in ihm verschwand um gleich wieder aufzutauchen. Athos war fasziniert.
„Wer bist Du denn und was machst Du denn da? „ fragte er neugierig. Der kleine Regenwurm zierte sich auch nicht lange. „Ich mach die Erde hier fruchtbar, sagte er. Und Regenwurm heiße ich, weil ich den Regen so liebe.“
 „Weißt Du, wie lange es noch regnen wird?“ fragte Aramis. 
„Unsere Höhle läuft voll Wasser und wenn das so weiter geht, verlieren wir unsere Wohnung.“ 
„Oh, der Regen kann dauern. Wenn Eure Wohnung nass wird, dann müsst ihr sie halt gescheit zu machen.... Wartet, ich helf Euch. Ist das der Eingang?“  und mit einer abrupten Bewegung stieß er einen Schwall Erde aus. Wenn ihr das auf Euer neues Blatt am Eingang legt, dann kann es nicht mehr wegfliegen. Ich bring noch einige Lagen, dann ist der Eingang fest zu“. 
Gesagt, getan. Die drei Brüder holten ein neues Blatt und der kleine Regenwurm schaffte wie ein kleiner Schaufelbagger eine Ladung Erde nach der anderen heran. Als sich schon ein kleiner Hügel über dem Eingang auftürmte, sagte er stolz: 
„Geschafft“  und tatsächlich lief das Wasser jetzt um den kleinen Hügel herum. 
„Wie können wir Dir danken, lieber Regenwurm?“ fragte Aramis und verbeugte sich tief.“ „Oh, ist schon gut, Man sieht sich bestimmt wieder und wer weis, vielleicht brauche ich auch mal Hilfe von Euch.“  
Daraufhin tauchte er senkrecht in den Boden, winkte noch kurz mit seinem Hinterteil und war verschwunden.

Die Brüder setzten sich unter einen großen Fliegenpilz und beratschlagten, wie sie ihre Höhle sicherer machen konnten.

Der Regen hatte aufgehört und jeder Windhauch ließ noch einen Tropfenregen von den Blättern fallen. Langsam schob sich die Sonne über die Baumkronen.

„Lass uns doch mal schauen, was die anderen Tiere machen“ schlug Aramis vor. „Au ja“ sagte Portos, dem das Rumsitzen schon mächtig auf die Nerven ging.

Sie liefen fröhlich schwatzend Richtung Waldrand. Alles war besser als rum zu sitzen und zu warten, dass der Regen aufhörte....

Sie waren schon ein Stück waldeinwärts gegangen und spielten gerade die Geschichte vom Hasen und dem Igel nach, als Portos in vollem Lauf über einen Hügel stolperte...

„Nicht schon wieder ein neues Abenteuer“, dachte er bei sich
Doch das ist eine andere Geschichte.....



33.     Die Ameisen



Im Nu waren hunderttausend Krabbeltiere über ihm. 
„Raus mit Dir“ schrien die zornig. „Oder sollen wir Dich unserer Königin zum Frühstück servieren? 
„Nein, Hilfeeee!“ rief Portos entsetzt, denn die kleinen Angreifer hatten angefangen, ihn mit einer ätzenden Flüssigkeit zu bespucken. Er sprang auf die Füße, schüttelte, so gut es ging, die kleinen Ameisensoldaten ab. 
Inzwischen waren Aramis und Athos näher gekommen. 
„Ich muss mich für die Ungeschicklichkeit meines Bruders entschuldigen“ sagte Aramis mit liebenswürdiger Stimme. Er hatte sich nämlich sofort erinnert, dass in Mutters Buch über wilde Tiere die Ameisen als besonders tapfere Krieger beschrieben wurden. Mit denen wollte er keinen Krach.
„Wir würden gerne Eure weise Königin sprechen“ fuhr er fort. „Ließe sich das eventuell arrangieren?“ 
„Wo denkt Er hin“ antwortete der Regimentsführer der Ameisen aufgebracht. „Unsere Königin kann man nicht einfach sprechen.“ Doch anscheinend hatte die Königin den Lärm gehört und weil sie noch eine ganz junge Königin war, konnte sie sich vor Neugier nicht halten und kletterte aus der Ameisenfestung heraus, um die Besucher in Augenschein zu nehmen. Der Regimentsführer schnaubte verächtlich, weil seine Königin sich so un-standesgemäß verhielt, aber er war machtlos. 

„Aramis und Athos und Portos machten einen tiefen Bückling, so wie sie das in den Büchern über die Königshäuser gesehen hatten. Aber die Ameisenkönigin war eher belustigt als beeindruckt. 
„Ich kann Euch ja leider nicht hereinbitten“ sagte sie mit liebenswürdiger sanfter Stimme. „Meine tausend Kinder schlafen da drinnen.“ 
„Entschuldigt nochmals vielmals“ stammelte Portos, dem sein Sturz jetzt sehr peinlich war. 

„Ach, das lässt sich alles richten“ sagte sie leichthin „Ich hab ja mein Personal. Doch erzählt, was wolltet Ihr denn von mir wissen?“

Aramis trat vor und fragte „Wie schützt sich Euer Volk vor dem heftigen Regen?“ „Ach“, sagte die Ameisenkönigin enttäuscht, denn sie hatte eine Frage von größerer staatstragender Reichweite erwartet. „Das machen meine Arbeiter. Die sind gerade drinnen und reparieren die Schlaf und Vorratskammern.“ Mit einer grazilen Bewegung ihrer filigranen Vorderfüsse schickte sie ihren Regimentskommandeur in den Ameisenbau. Der kam auch gleich wieder mit einem Arbeiter heraus.  
„Wie machen wir unsere Burg wetterfest? “ fragte die Königin  Der Arbeiter  holte sofort den Bauleiter. Der war sehr geschmeichelt, dass sich ihre Hoheit, die Königin selber mit ihm über so etwas profanes, wie eine wetterfeste Behausung unterhalten wollte. „Also das ist so...“ begann er und dann kam eine ausführliche langatmige Erklärung, welche Ausgänge auf welche Weise und warum geschützt wurden. Die drei Brüder sahen einander an. Das traf ja alles nicht auf ihre Höhle zu. 

Als der Baumeister  gerade Luft holen musste, unterbrach ihn Aramis.
„Ihr habt doch so viel Erfahrung im Bau von wetterfesten Behausungen. Könntet ihr einmal unseren Eingang ansehen. Der ist nicht dicht, wenn es regnet.“ „Hmmm Hmmm“ meinte der  Ameisen-Baumeister, „das muss ich sehen, bevor ich etwas dazu sagen kann. Wenn Sie so freundlich wären, mich mit zu nehmen...“ „Aber gerne“,  sagte Portos, denn für Lasten, und seien sie noch so klein, war er zuständig.
Sie verabschiedeten sich mit einem tiefen Bückling von der Ameisenkönigin und liefen mit dem Ameisenbaumeister, der es sich auf Portos Pelz gemütlich gemacht hatte, nach Hause.

Würde der Ameisenbaumeister helfen können, die Wohnung wasserfest zu machen?
Doch das ist eine andere Geschichte.....


34.     Der Ameisenbaumeister



Dort angekommen, erzählten sie ihm von dem Regen, wie er in die Höhle eingedrungen war und wie der kleine Regenwurm ihnen geholfen hatte.  Der Ameiseningenieur krabbelte um den kleinen Hügel herum, den der freundliche Regenwurm über dem Eingangsblatt aufgetürmt hatte. 
„Soso, so hat er das also probiert dicht zu machen. Interessante Variante.....“ Dann wandte er sich an Aramis.
„Ihr seid für die Baumassnahmen zuständig?“ fragte er. Aramis war überrascht. Darüber, wer für was zuständig sein sollte, hatten die drei noch nie nachgedacht. 
„Wir machen immer alles zusammen.“ erklärte er ihm.
 „Ha! Wie könnt Ihr da eine vernünftige Lösung finden, wenn keiner eine eigene Aufgabe hat, die er richtig beherrscht.“ 
So hatte das Aramis noch nie gesehen. 
„Aber wir können doch alle gleichviel“ sagte er. Der Ameisenbaumeister schüttelte ungläubig den Kopf und meinte: 
„Wie kann eine Kreatur ohne vernünftige Aufgabenteilung leben. Naja, Ihr müsst es ja wissen....“ 
Dann machte er sich daran, einen winzigen Eingang durch den kleinen Hügel zu bohren und schlüpfte hinein. Die Brüder sahen sich an. „Na, der ist ja ganz schön eingebildet - hoffentlich kann er auch so viel wie er angibt“ meinte Portos skeptisch.

Nach einer kleinen Ewigkeit kam er zurück. 
„ Ja, das ist so, wie ich gedacht habe“ sagte er und schaute die Brüder besorgt an „Ihr werdet umziehen müssen. Eure Vorräte sind falsch gelagert und deshalb nass geworden, Eure Schlafplätze stehen im Wasser und Eure Notausgänge sind nur bei schönem Wetter zu benutzen.“ 
Aramis, Portos und Athos waren entsetzt. So schlimm war es also. „Kann man die Wohnung nicht wetterfest machen?“ fragte Aramis flehentlich. „Doch“, sagte der Ameisenbaumeister. „Es ist nur umständlich. Eigentlich gibt es sogar zwei Möglichkeiten. Zuerst müsst Ihr die Wohnung jetzt dicht bekommen und belüften. Das könnt ihr, indem ihr mehrere kleine Ausgänge grabt und mit einem Blatt abdeckt. Vielleicht fragt ihr noch mal den Regenwurm, ob er für Euch die Blätter befestigt. Dann müsst Ihr nur noch ein großes Blatt über den Eingang legen, unter dem ihr zu eurem Haupteingang kommt. Was für eine Wohnung ist denn das, wenn man nicht mal leicht rein und raus kommt...“ Da mussten ihm die Brüder Recht geben. Durch den kleinen Hügel, den der Regenwurm aufgeschüttet hatte, kam nicht mal Athos mehr rein. 
„Und die zweite Lösung?“ fragte Athos hoffnungsvoll, denn auf Ausgänge graben hatte er überhaupt keine Lust. 
„Hmmmm, da muss ich erst mit unserer Königin sprechen,“ sagte er. „Wir müssten etwas von unserem Saatgut abgeben, das wir als Nahrung gespeichert haben. Wenn ihr rings um Euren Eingang Pflanzen mit großen Blättern aussät, dann habt Ihr euer eigenes Dach. Dann müsst Ihr nur noch einen Wall  vor dem Haupteingang machen, damit kein Wasser rein läuft und dann kann Euch nichts mehr passieren.“ „Das hilft uns ja schon sehr viel weiter“ sagte Aramis. Wir werden den ersten Teil der Lösung sofort versuchen, denn bis die Saatkörner aufgehen, vergeht mindestens ein Jahr.“
„Das ist richtig, „ sagte der Baumeister beeindruckt. Er hatte es hier offenbar mit einer sehr gebildeten Maus zu tun. „Könntet Ihr mich jetzt bitte wieder zurück bringen? Ich muss in meinem Staat nachdem rechten sehen“ So brachten die drei Brüder den Baumeister zurück und versicherten ihm zum Abschied nochmals, dass sie ihm ewig dankbar sein würden. Der versprach, dass er sofort mit der Königin sprechen würde und dass sie vielleicht bald mit den Saatkörnern rechnen könnten.

Die drei Brüder taten so, wie es ihnen der Baumeister vorgeschlagen hatte und nach einigen ungemütlichen, anstrengenden  Tagen, in denen sie neue Lüftungslöcher graben, alle Vorräte nochmal raus zum trocknen und neues Stroh für die Bettenlager holen mussten, war jetzt Ruhe eingekehrt. Alles ging seinen gewohnten Gang, bis eines Tages wieder ordentlich was los war......

aber das ist eine andere Geschichte


35.     Die Weinbergschnecke



Es war schon am späten Morgen, als Aramis von der Sonne wach gekitzelt wurde. Das war ungewöhnlich, denn mit der neuen Türe - pardon, dem Blatt vor der Türe  - kam ja keine Sonne mehr ins Mauseloch. Er lief  zum Haupteingang, doch zu seinem großen Erstaunen war das riesige Blatt, das den Eingang verschließen sollte, verschwunden. Heller Sonnenschein beleuchtete eine friedliche Natur. Jeder ging seinen Geschäften nach. Die Bienen summten, die Grille probierte ein neues Musikstück, die Lerchen jubilierten in der Luft - alles war wie immer, nur das große Blatt war verschwunden.  Aramis lief in die Höhle und weckte Portos. „Kann doch gar nicht sein“ brummte dieser, als ihm Aramis von dem Verlust erzählte. Inzwischen war Athos wach geworden. Als er hörte, dass die Eingangstür weg war, wurde er ganz zaghaft. „Wenn der große Kater unsere Türe geholt hat, weil er uns holen will?“ bibberte er. „Keine Sorge“ sein Bruder nahm ihn in den Arm „der kommt hier nicht her und wenn, dann jag ich ihn wieder weg. Versprochen.“  
Sie überlegten hin und her, wie das wohl zugegangen sein konnte, aber eigentlich hatten sie keine Idee. 
„Lass uns ein neues Blatt holen. Zum Glück wachsen die am Waldrand“ schlug Aramis vor.  So kam es, dass die Drei schnell wieder eine neue Tür hatten.

Am nächsten Morgen - Aramis traute seinen Augen kaum - war die Tür wieder weg. Er wurde richtig zornig. „Wer macht denn so was“ schimpfte er. Er fragte all die anderen Tiere in der Nachbarschaft, aber keiner hatte etwas gesehen oder gehört.

Wieder wurde tagsüber eine neue Tür besorgt und wieder war die Tür am nächsten Morgen nicht mehr da.

Da war guter Rat teuer. „Ich leg mich nachts auf die Lauer und dann erwische ich den Dieb“ sagte Portos. „Der kann was erleben.“ Wieder holten die Brüder eine neue Blatt-Türe und Portos legte sich direkt neben dem Blatt auf die Lauer. Die Nacht war lau und nur der Gesang der Nachtigall unterbrach ab und zu die Stille. Portos träumte vor sich hin, wie schön sie es doch hier war und was für ein bequemes Leben sie hier hätten - und eh er sich‘s versah war er tief und fest eingeschlafen. 

„Du bist mir vielleicht ein toller Wächter.“ 
Portos traute seinen Augen kaum. Es war bereits heller Morgen und vor ihm stand sein aufgebrachter Bruder. 
„Du solltest aufpassen, dass keiner die Tür weg nimmt und dabei hast Du geschlafen wie ein Murmeltier. Jetzt ist die Türe wieder weg...“ 
Tatsächlich. Portos wusste gar nicht wo er hin schauen sollte, so unangenehm war ihm das. Ich hole die neue Türe alleine, sagte er. 

„Und ich halte heute Nacht Wache“ sagte Aramis „Das werden wir doch mal sehen.“ 
Es wurde Nacht. Aramis hatte sich ganz fest vorgenommen wach zu bleiben. Aber wie das manchmal so ist mit guten Vorsätzen. Es dauerte nicht mal so lange, bis die Nachtigall ihr erstes Lied  fertig gesungen hatte, da schlief auch er tief und fest.

Am nächsten Morgen, man glaubt es kaum, fehlte die Türe wieder.

Aramis raufte sich die Haare. „Was können wir denn jetzt noch anstellen, das wir unsere Tür behalten können?“ fragte er, aber keiner hatte keinen Plan.

Athos ging raus zum Spielen und kam nach ein paar Minuten ganz aufgeregt zurück. „Schaut mal“ was ich entdeckt habe. Er ging raus und zeigte seinen Brüdern eine breite glitzernde Spur. Sie lief direkt vom Eingang der Höhle in Richtung Wald.  Sie gingen der Spur nach. Die Spur endete an einem riesigen wundersamen Gebilde. „Was ist das denn?“ Athos drängte sich gleich fest an Portos. Das „Ding“ war immerhin halb so hoch wie er selber. Portos nahm ein Stöckchen und klopfte damit an die Wand des Gebildes. Da hörte man drinnen ein unwirsches Murren und ein kleiner Kopf mit Augen, die auf Stielen zu sitzen schienen, schaute bei der kleinen Öffnung am Boden raus. 
„Wer stört mich denn hier“ hörten die erstaunten Brüder. 
„Was ist das denn“ schrie Athos auf, als das Gebilde ganz langsam auf ihn zugekrochen kam. 
„Ihr müsst entschuldigen, ich seh nicht mehr so gut“ sagte die Stimme und das Gebilde kam noch näher. Portos stellte sich dem Wesen in den Weg. 
„Wer seid Ihr“ fragte er forsch. Aber das „Ding“ kroch einfach weiter. Wäre Portos nicht zur Seite gesprungen, es wäre über ihn hinweg gekrochen. Aramis dachte fieberhaft nach. Er musste so etwas mal in einem der Bücher gesehen haben..... Plötzlich dämmerte es ihm. 
„Sagt mal. Seid Ihr etwa eine Weinbergschnecke?“ fragte er. „Du hast‘s erfasst, Schlaumeier“ sagte die Stimme nun ein bisschen freundlicher.“ 
„Was macht Euer Hochwohlgeboren denn dann mitten im Wald?“ 
„Oh, das ist eine lange Geschichte“ , antwortete die Schnecke „Vieles ist mir zugestoßen, aber ich will mich nicht beklagen. Ich habe es gut getroffen. Seitdem ich mich hierher geflüchtet habe, weil der Weinberg zu gefährlich geworden war, seitdem finde ich den Tisch hier reich gedeckt.“ 
„Jaaaa??? „ fragte Aramis gedehnt, denn ihm dämmerte da was. „Was fressen Euer Hochwohlgeboren denn am liebsten?“  

Eines der Stielaugen drehte sich zum Waldesrand. 
„Seht Ihr die riesige Pflanze dort drüben? Die Blätter sind genau das Richtige für mich. Aber ich bin alt und kann nicht mehr so hoch klettern. Ich musste sonst immer warten bis eine von den großen Pflanzen umfiel. Aber seitdem ich hier her gezogen bin, finde ich jeden Morgen ein Blatt mundgerecht serviert.“ 

Aha! Nun war die Sache klar. Die Brüder sahen sich an. Das war eine verzwickte Situation. Wie sollten sie der alten Dame klar machen, dass sie jede  Nacht ihre Haustüre verspeiste????.... Da war guter Rat teuer. Athos fasste sich als erster. 

„Wir könnten Ihnen vielleicht helfen“ sagte er mit ungewohnt fester Stimme. „Ich bin ganz Ohr.“ Die Schnecke schien nun richtig Lust auf Konversation zu haben. „Wissen Sie eigentlich, dass Sie jede Nacht unsere Haustüre aufessen und wir dann ohne Schutz sind, wenn es regnet?  Ich würde vorschlagen, dass wir Ihnen eine eigene Bärenklaupflanze besorgen. Dann brauchen Sie sich nicht mehr an unserer Haustüre vergreifen. Wenn wir den Stiel unten abbeißen, fällt sie um und Sie können ein Blatt nach dem anderen verspeisen.“ 

Der Schnecke war es überhaupt nicht peinlich, dass sie angeblich eine Haustüre verspeist hatte, aber die Idee, die Blätter ohne Anstrengung zu bekommen, gefiel ihr außerordentlich gut. So brauchte sie nicht mal mehr den beschwerlichen Weg zur Mäusewohnung auf sich zu nehmen. 

Gesagt, getan. Die Mäuse legten eine Bärenklaupflanze um, nagten sich ein - hoffentlich letztes - Blatt für ihre Haustüre ab und schleppten es heim.

„Also wie Du das gemacht hast, Athos, das macht Dir keiner nach!“ lobte ihn Portos. „Du hast nicht nur den Diebstahl unserer Haustür aufgeklärt, sondern Du hast noch die alte Schnecke glücklich gemacht. Ich hätte das nicht gekonnt“  „Ich auch nicht“ fügte Aramis hinzu und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ohne Dich wären wir ganz schön aufgeschmissen gewesen“  Athos glühte vor Stolz. Das war ein richtiger Ritterschlag...


36.     Neue Nachbarn



Eines Tages im Spätsommer war plötzlich ein Kratzen und Rumpeln an der äußeren Wand ihrer der Höhle zu hören. Aber wenn Aramis oder Portos oder Athos raus schauten, war nichts zu sehen. „Komisch,“ brummte Portos „ich könnte schwören, dass da was war.“ Dann eines Nachts hörten sie  an der Wand von ihrer Schlafkammer ein scharfes Kratzgeräusch. Als Aramis gerade das Ohr an die Wand lehnte um besser hören zu können,  gab es plötzlich einen lauten Krach und die Wand stürzte direkt neben ihm ein. Erschreckt schrie er auf und starrte entgeistert auf das kleine pelzige Wesen, das da mit  hoch erhobenen Pfoten da stand. Es sah ein bisschen aus wie eine Maus und ein bisschen wie ein Hase. „W-w-w-as bist Du denn?“ fragte Athos, doch das Wesen drehte sich auf dem Hinterfuß um und verschwand. Die drei Brüder waren jetzt neugierig geworden. Zum Fürchten sah dieses andere Wesen ja auch nicht aus. Also gingen sie durch das Loch in der Wand und kamen in eine geräumige Höhle. „Komisch“ dass uns diese Wohnung noch nie aufgefallen ist“ meinte Aramis. 
„Das konnte es auch nicht“ kam es aus einer Höhle ein Stockwerk tiefer.
„Wir sind gerade erst hergezogen.“ Aus der Versenkung, wie es schien, tauchte wieder dieses Wesen auf. „Wir haben den Bau soeben fertig gestellt. Wir haben in ein paar Tagen Nachwuchs und da brauchen wir einen sicheren Platz, denn Kaninchen werden oft von anderen gejagt.“ Das verstand Athos. Die Erfahrung mit dem großen Bibliothekskater war ihm noch in zu guter Erinnerung.  „Bleibt ihr für immer hier?“ wollte Aramis wissen. „Oh nein, nur bis die Kleinen groß genug sind, dass sie für sich selber sorgen können.“ "Seid Ihr Verwandtschaft von den Hasen, die sich jeden Morgen auf dem Feld prügeln?"  fragte Portos, denn es interessierte ihn brennend, was die so an Tricks kannten. Doch das Kaninchen winkte ab. „Die sind uns zu rau“ lächelte es „Wir haben es lieber kuschelig in unserer Höhle und wollen keinen Streit.“ „ Na dann, auf gute Nachbarschaft“, meinte Aramis. .. Dann gingen die Drei in ihre Höhle zurück und überlegten, ob sie den neuen Gang zu dem Kaninchenbau offen lassen sollten oder zumachen. Schließlich einigten sie sich darauf, dass sie erst mal schauen wollten, wie sich das mit den neuen Nachbarn anließ. Es konnte ja sein, dass das für alle ganz praktisch war. 

In den kommenden Tagen war dann der  Kindersegen bei den Kaninchen angekommen. 7 süße, rosige Würmchen waren es , die von ihrer Mama eifrig gefüttert und gepflegt wurden. Nach ein paar Tagen sahen sie schon etwas mehr wie Kaninchen aus, obgleich sie noch richtig winzig waren. Sie konnten nun auch schon sehen.
Die nächsten Wochen waren einfach herrlich für alle. Die Kleinen von der Kaninchenfamilie waren die besten Spielkameraden, die man sich denken konnte. Immer lustig, immer zu Streichen aufgelegt. Aramis, Athos und Portos konnten sich nicht erinnern je so ausgelassen gespielt zu haben.
Doch dann kam der Tag an dem es sich beweisen sollte, wie wichtig die gute Nachbarschaft sein sollte.
Doch das ist eine andere Geschichte.


37.     Der Fuchs



Die drei Mausgetiers und die Kaninchen hatten gerade ein neues Spiel erfunden. Das ging so:  einer schaut weg und die anderen verstecken sich, dann musste der eine alle anderen suchen. War das ein Hallo. Den ganzen Vormittag ging die wilde Jagd durch alle Gänge und Höhlen. Die Kanincheneltern wussten schon gar nicht mehr, wie sie der ausgelassenen Bande Herr werden sollten. Deshalb erkannten sie auch nicht sofort, dass da Gefahr von außen drohte.

Plötzlich fielen Erdbrocken von der Höhlendecke und die Höhle wurde erschüttert. Erschrocken hielten die Kaninchenkinder im Lauf inne. „Was ist das denn?“ riefen sie ängstlich und rannten zu ihrer Mama in die unterste Höhle. Diese rief sofort ihren Gefährten: „Oh jemine, das ist bestimmt wieder der Fuchs. Er macht das immer so.  Er will uns so rauslocken.“ 

Aramis hatte das gehört und wollte es genauer wissen. Er lief so schnell er konnte zum Not-Ausstieg und legte vorsichtig den Stopfen zu Seite. Was er da sah, ließ ihm die Haare zu Berge stehen. Der Fuchs! Der sprang mit allen Vieren in die Luft und landete hart. Nun konnte sich Aramis vorstellen, wie die Erschütterung zustande gekommen war. Aber damit nicht genug. Jetzt fing er an ganz methodisch  zu graben. Aramis war alarmiert:  „Ich muss sofort die Kaninchen warnen“. Er raste zur Kaninchen-Schlafhöhle tief unten im Bau und rief atemlos: „Ihr müsst hier raus, der Fuchs gräbt sich ein Loch in Eure Höhle.“ Das Grabe-Geräusch kam näher. „Aber wohin sollen wir denn fliehen“ jammerte die Kaninchen-Mama „sowie wir raus kommen hat uns der Fuchs...“ Athos hatte eine Idee. „Wenn wir alle zusammen helfen und ganz schnell ein bisschen graben,“ meinte er,  „dann könnt Ihr bei uns unterkommen.“  Gesagt, getan. Der Fuchs staunte nicht schlecht, als er das Loch groß genug hatte und keine Kaninchenfamilie mehr da war. Der kleinen Mausewohnung daneben schenkte er keinen Blick.  Die Kaninchen hatten sich in der Mausehöhle ganz klein gemacht. 
Es dauert auch noch ganz lange, nachdem der Fuchs längst weg war, bis sie sich aus der Mäusewohnung raus trauten. Die Kaninchen-Mama stupste mit ihrem Schnuppernäschen Aramis Nase zum Zeichen größter Wertschätzung. „Ich bin Euch allen ja so dankbar“ flüsterte sie. „Ohne Eure Nachbarschaftshilfe hätten wir das nicht geschafft.“ Aramis, Portos und Athos, die ihre neuen Nachbarn und ihre fröhliche Kinderschar so lieb gewonnen hatten, winkten ab. „Das ist doch selbstverständlich, dass man sich gegenseitig hilft“ sagten sie alle drei. 
Sofort reparierten die Kaninchen ihren Bau, zogen wieder in ihre Behausung und alle waren glücklich, dieses Abenteuer heil überstanden zu haben.

Und morgen geht's weiter....


38.     Portos baut sich einen Ausgang



Beim Reparieren jedoch geschah ein kleines Missgeschick. Aramis musste wohl seine eigenen Ausmaße im Kopf gehabt haben, als er das Verbindungstor zur Kaninchenwohnung nachbessern wollte. Und so kam, was kommen musste. 

Portos wollte nur mal schnell zu den Kaninchen rüber und nachsehen wie es seinen Freunden ginge. Die sollten aber schlafen und so wollte er, wie früher,  schnell durch die Verbindungstür zur Mäusewohnung  zurück. Er war ziemlich in Schwung und - plopp- blieb er in der Durchgangsöffnung stecken. 

Er lamentierte, er zappelte, er schrie - nichts half. Er war gefangen. Zu allem Unglück dauerte es eine kleine Weile, bis seine Brüder  ihn schreien hörten. Sie zogen und zerrten an dem armen Portos, aber je mehr sie zogen, desto fester schien er festzustecken. 
Nun erinnerte sich Portos an seine Rettung aus der Spechtwohnung, wo er schon einmal stecken geblieben war. 

Er keuchte „Lauft rüber zu den Kaninchen - die müssen gleichzeitig schieben während Ihr zieht........“
Gesagt - getan.....   und nach zwei Versuchen war Portos frei.

Nun war ihm, bei aller Freude über die wieder gewonnene Bewegungsfreiheit; doch sehr mulmig zumute. Nicht auszudenken, was  passiert wäre, wenn seine Brüder und Freunde nicht zur Stelle  gewesen wären!!!

Er beschloss alle Öffnungen in der Mäusewohnung zu inspizieren, ob sie auch groß genug für seine Bedürfnisse seien. Der Haupteingang war in Ordnung, der Übergang zur Kaninchenwohnung wurde gerade von Aramis höchstpersönlich ausgeweitet, aber beim Notausgang stellte er fest, dass er zwar rausgucken, aber nicht raus laufen konnte. Das musste sich schleunigst ändern, denn gerade im Notfall wollte er auf keinen Fall stecken bleiben. 

„Ich möchte einen eigenen Nebenausgang haben, damit ich nicht stecken bleiben kann und schnell aus der Höhle raus komme wenn irgendwas ist.“  dachte er bei sich.  Also grub er sich einen neuen  Ausgang und meinte es extra gut mit sich. 

Als er stolz  das fertige Werk seinen Brüdern präsentieren wollte, da waren die alles andere als begeistert. Das war nämlich kein Ausgang mehr, das war ein Riesenloch in der Decke der Höhle und öffnete jedem, der neugierig genug war,  einen Einblick in die Speisekammer. Aramis stemmte die Fäuste in die Hüften. Das machte er immer wenn er richtig wütend war. „Ja bist Du denn noch ganz gescheit?“ schimpfte er. „Das ist doch eine Einladung für jeden Dieb, unsere Vorratskammer auszuräumen. Du kannst gleich draußen schlafen, wenn Du so viel Platz brauchst.“ Portos war ganz verdattert. Da hatte er sich solche Mühe gegeben und jetzt das. Er versuchte seinen Bruder zu beschwichtigen und versprach das Ausstiegsloch wieder zu verkleinern. Aber Aramis grollte noch. „Ich schau das nach...“ 

.....und so ging Portos ans Werk. Nun ist es leichter, eine Grube auszuheben als sie wieder zu zumachen. Portos probierte alles Mögliche, aber das Einzige was passierte, war, dass Dreck in die Vorratskammer fiel. Er schleppte ein ganz besonders großes Bärenklaublatt an,  um die Baustelle abzudecken und machte sich auf die Suche nach Hilfe. Zuerst ging er zur Haselmaus-Königin. Doch das bereute er schnell. Was ihm denn da Dummes eingefallen sei, schimpfte die auch nicht weniger als sein Bruder. Als sie aber Portos wie einen begossenen Pudel da stehen sah und merkte, dass er das ja nicht in böser Absicht gemacht hatte, da tat er ihr dann doch leid. 

„Lass mich mal nachdenken. Ich glaube ich weiß jemanden, der etwas Ahnung davon hat“ sagte sie „aber der ist schwer zu finden ..“ Seufzend verschwand sie im Wald. Portos setzte sich vor ihrer Höhle ins Gras und wartete. Und wartete. Und wartete. Gerade als er traurig heimgehen wollte, kam die Haselmaus-Königin angetrippelt. „Ich habe lange nach ihm suchen müssen, aber hier ist er, der Herr Kleiber. Seines Zeichens der einzige hier im Wald, der Löcher wieder zu machen kann.“ Von der nächsten Baumkrone schwebte ein eleganter kleiner Vogel mit roter Bauchseite und grauem Federkleid. „So,“ sagte er „dann zeig mir mal Dein Problem.“ Portos lief zu seiner Höhle .....    

.........aber was war das denn? Er konnte das Blatt mit dem darunter liegenden Eingang nicht finden. Er schnuffelte hier und er schnuffelte da, aber vom Eingang keine Spur. Er stolperte über einen umgefallenen Wiesenbovist. „Auch das noch“ schimpfte er, als der seine ganzen graugelben Sporen über ihm ablud. Der Kleiber schaute amüsiert zu. „Wo ist denn nun das große  Loch im Dach?“ fragte er. „Beeil Dich. Ich muss zu meiner Familie zurück. Ich habe versprochen, unser Nest winterfest zu machen. Meine Frau wartet.“ 

Portos war so wütend auf sich selber. Er gab dem umgefallenen Bovist einen Tritt, stolperte dabei, fiel hin und war mit einem Mal wie vom Erdboden verschluckt. Der Kleiber flog erschreckt auf. „Hallo, wo seid Ihr denn?"  er äugte in eine  tiefe Grube. Da saß der unglückliche Portos. Über und über voll mit Bovistsporen... Aus dem Inneren der Höhle kamen Aramis und Athos angelaufen. „Wo kommst Du denn her?“ fragten sie. Doch Portos war so wütend, dass er  nicht einmal mehr antworten mochte. Dann versuchte er aus dem tiefen Loch an die Oberfläche zukommen, aber da war kein Halt. Als er zurück in die Höhle wollte,  um den Haupteingang zu nehmen,  stellte sich Aramis  in den Weg und meinte streng: „Hier kommst Du erst rein, wenn Du dich sauber gemacht hast.“ Portos blieb nichts anderes übrig. Blitzschnell putzte er sich und  ging wieder nach draußen den Kleiber zu suchen. 

Der hatte sich, weil er so in Eile war,  hurtig ans Werk gemacht. Er flog hin und her. hielt mal Lehm, mal Rinde, mal kleine Zweige in seinem Schnabel und baute alles am Rand des Eingangs ein. Portos wurde gar nicht fertig mit staunen. Geschickt und kunstvoll hatte der Kleiber in kurzer Zeit so den Eingang verkleinert. „Hier hast Du noch eine Leiter zum Ein und Aussteigen“ sagte er. Portos war begeistert. „Das ist ganz toll“ strahlte er. Danke, danke lieber Kleiber. Du hast mir so geholfen. Ich werde Dir das nie vergessen.“ „Ist schon recht“ zwitscherte dieser, schwang sich in Luft und war nicht mehr gesehen.
So, das wäre geschafft, dachte Portos, jetzt hab ich mir eine Auszeit verdient. Doch die sollte ganz anders ausfallen, als er sich das vorgestellt hatte.

Aber das ist eine andere Geschichte....


39.     Der Nebel



So viel Rumtoben macht hungrig. Deshalb war es natürlich Portos, der als erster meldete, dass die Vorräte zur Neige gingen. Gleich am frühen Morgen wollte er zum Lager des Eichhörnchens gehen. Als er aber morgens aus dem Höhleneingang schaute,  glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Es war zwar nicht mehr dunkel, aber auch nicht hell. Ein milchig weißer Schleier lag über allem und der war so dicht, das er sogar die Sicht auf den gegenüberliegenden Baum verdeckte. Er lief zurück und weckte Aramis. Der wusste im Moment auch nicht, was das war. Also half es Portos nichts, er musste mit knurrendem Magen warten, bis es richtig hell wurde, damit er was sehen konnte. 

Das hellgraue Licht zauberte eine ganz eigene Stimmung. Die Kohlfelder in der Nähe sahen aus wie eine Kolonie Hasen, weil man die Pflanzen nur schemenhaft wahrnehmen konnte. Die Büsche und Bäume sahen aus wie Ungeheuer. Er konnte gerade so eben die Pfote vor den eigenen Augen sehen. Jetzt wünschte er sich nichts sehnlicher als so ein Radarsystem, mit dem die Fledermäuse sich orientierten. Aber er war halt eine Bibliotheks-  oder Büchermaus und keine Fledermaus. Er trottete einfach schon mal los. Als er am Ameisenhügel am Waldesrand vorbei kam, sah er, dass alles in höchster Aufregung war.


40.     Die Ameisenkönigin ist verschwunden



Die Ameisensoldaten liefen aufgeregt hin und her, der Regimentsführer und alle Offiziere waren draußen und suchten die Gegend ab. Als er Portos erkannte, kam er zu ihm gelaufen: „Habt Ihr unsere Ameisenkönigin gesehen? Sie ist seit gestern Abend verschwunden. Ihr ganzer Hofstaat ist außer sich. So etwas hat es noch nie gegeben.“  

Portos verneinte. „Vielleicht wollte sie nur spazieren gehen und hat sich verlaufen?“ fragte er vorsichtig, aber da hatte er wohl was Falsches gesagt. Der Erste Offizier  spuckte einen Schwall ätzender Flüssigkeit zum Zeichen, dass er sehr aufgebracht war - und schimpfte los: „Ihr habt ja keine Ahnung von den Pflichten einer Königin. Was erlaubt Ihr unserer Majestät zu unterstellen. Ich verbitte mir das!!!“
 
Portos hatte keine Lust auf ein Streitgespräch mit einer aufgebrachten Ameisetruppe und lief weiter. Doch plötzlich hatte er einen schrecklichen Verdacht. Er erinnerte sich an die Stelle, wo Aramis von der Spinne gefesselt worden war. Er ging näher und wäre um ein Haar selber in das Netz gestürzt, als er die Ameisenkönigin fein säuberlich aufgewickelt neben dem Netz hängen sah. Die Spinne, das wusste er, würde im Busch sitzen. Wenn er die Ameisenkönigin retten wollte, musste er die Spinne ablenken. Er kletterte auf einen anderen Busch und von dort auf den Busch oberhalb des  Spinnennetzes. Er biss ein Stückchen Zweig ab und warf es in das Spinnennetz. Dann noch eines und noch eines. Endlich kam die Spinne angetänzelt. Portos wusste, er würde noch so sehr schmeicheln können, die Spinne würde dieses Mal Ihre Beute nicht freiwillig frei lassen. Kaum war die Spinne schimpfend damit beschäftigt ihr Netz von den Zweigen zu säubern, kletterte Portos blitzschnell zur Ameisenkönigin, biss den Faden, an dem sie hing ab, und nahm sie ganz vorsichtig zwischen die Zähne. Mit der kostbaren Fracht rannte er so schnell er konnte zum Ameisenbau. Der gesamte Hofstaat war heilfroh, seine Königin wieder zu haben. Blitzschnell wurden mit kräftigen Ameisen-Kieferscheren die Spinnenfäden aufgeknackt. Die Ameisenkönigin schüttelte ihre zarten Flügel und verbeugte sich anmutig vor Portos. „Ihr habt Euch als edelster aller Ritter erwiesen. Ohne Euer Gnaden wäre ich verloren gewesen. Ich ernenne Euch hiermit zu meinem persönlichen Palastoffizier ehrenhalber.“ Sie tippte ihm sanft auf die Schulter. Wenn Ihr jemals Hilfe von uns braucht, dann pfeift und wir kommen. Portos konnte es kaum erwarten, seinen Brüdern davon zu erzählen. Die würden staunen. Er war nun ein Ritter!!!  Er hatte sich seines edlen Namens würdig erwiesen....


41.        Die Graugänse



Langsam wurde  es Herbst und es war nachts und morgens schon empfindlich kalt.  Aramis, Portos und Athos stellten mit Verwunderung fest, dass ihr Haarkleid dichter wurde und dass es ihnen fast nichts ausmachte draußen zu sein. Als sie wieder einmal auf dem Weg zu einem der Lager des Eichhörnchens am Ufer des Teichs waren, hörten sie ein heiseres Schreien und Rufen in der Luft. Sie sahen nach oben, und hoch oben über ihnen flog eine keilförmige Formation von riesigen Vögeln. Fasziniert beobachteten sie, wie einer nach dem anderen im Sturzflug herunterkam, kurz vor der Landung sanft die Schwingen ausbreitete und elegant landete. Portos musste sofort an seine süße Fledermausfreundin denken. Die hätte an diesem Schauspiel bestimmt auch Spaß gehabt. Während er so vor sich hinträumte, fiel ihm auf, dass einem der großen Vögel die Landung wohl missglückt war. Er stand auf einem Bein und jammerte was das Zeug hielt. 

„Was hast Du denn?“ fragte er neugierig Aber der Vogel zischte ihn nur wütend an. 
Aramis hatte sofort bemerkt, dass dem Vogel etwas Schlimmes fehlen müsste, so jämmerlich wie er da stand...
„Darf ich Euer Ehren vielleicht meine Hilfe anbieten?“ fragte er mit tiefer Verbeugung ... Keine Antwort.

Athos sah genauer hin und bemerkte, dass der Riesenvogel auf einem Bein stand und bedenklich schwankte. „Tut Dein anderes Bein so weh?“ fragte er mitfühlend. „Wonach siehts denn aus?“ schnarrte  der Vogel zurück. “Hast Du ne Ahnung, wie man ein gebrochenes Bein heilt, wenn man auf dem Weg nach Afrika ist? Jämmerlich erfrieren und verhungern werd ich, das ist los.“

Da war nun guter Rat teuer. Aramis erinnerte sich, dass er mal in einem schlauen Doktorbuch in der Bibliothek  gesehen hatte, dass man gebrochene Gliedmaßen mit einem Stock so zusammenbinden könnte, dass alles wieder verheilen konnte.

„Ich kann Dir vielleicht helfen, aber das braucht ein bisschen Zeit,“ sagte er. Ich könnte mit ein paar Grashalmen einen geraden Stock an Deinem Bein befestigen, dann kann es ausheilen und später kannst Du weiterfliegen“ 

„Oh mei,  oh mei,”  lamentierte der große Vogel. Graugänse fliegen doch immer zusammen. Ich muss erst unseren Navigator fragen, ob so was überhaupt geht. Er stieß ein paar heisere Rufe aus, die die Brüder nicht verstanden,  und im nächsten Moment landete eine prächtige Graugans vor den erstaunten Jungs. Nachdem Aramis seinen Behandlungsplan erklärt hatte, und der Navigator versprach, vorerst nicht mit den anderen weiter zu fliegen, gingen die Mausgetiers ans Werk. Aramis war insgeheim dankbar, dass er als kleiner Mausejunge so viel hatte lernen dürfen.  So wusste er genau, was zu tun war. Schnell war der Bruch geschient und die Graugans sah zwar etwas komisch aus, wie sie da mit abgespreiztem Beinchen auf einem Bein hüpfte, aber zumindest konnte sie sich im Moos was zu Fressen suchen. Nachts blieb sie in der Nähe der Höhle bei ihren Rettern. 

Das war eine tolle Gelegenheit für die wissbegierigen Jungs, mehr über das Leben dieser interessanten Vögel zu erfahren. Sie fragten der Graugans nach allem und jedem. Wie es von oben aussah, was für Länder sie bereist hatte, ob es da auch Mäuse gäbe wie sie, ob es in Afrika immer heiß wäre ...Portos hatte diesen Riesenvogel so lieb gewonnen, dass er sich immer auf seinen Rücken zwischen die Flügel kuschelte um ganz genau zu hören, was das mit dem Fliegen auf sich hätte. Er hatte ja noch nicht aufgegeben, selbst das Fliegen zu lernen.

Irgendwann war dann das Bein geheilt und die Graugans machte erste Flugversuche. Portos durfte auf ihrem Rücken sitzen, und wie einst Aramis mit den Enten, genoss auch er das Gefühl zu fliegen, die Welt von oben zu sehen. Nur so kann man sich erklären, was dann geschah...
Aber das ist eine andere Geschichte.


42.     Portos ist fort



Über Nacht waren erste Schneeflocken gefallen, die zwar im Laufe des Morgens wieder von den Sonnenstrahlen weg geleckt wurden, aber der Navigator der Graugänse wurde ungeduldig. „Wir müssen los!“ schnarrte er. „Wenn wir länger warten,  kommen wir nicht mehr über die Alpen.“ Portos war auf dem Rücken seiner neuen Freundin eingenickt, und er wachte auch nicht auf, als Aramis die Schiene los machte, er schlief immer noch, als die Graugans sich mit ein paar kräftigen Schwüngen in die Luft erhob, er verschlief sogar die ersten Stunden, die die Graugans in der Formation flog. Erst als sie gegen Abend an einem Gebirgssee landeten, wachte er auf. 

Was er da sah, war so unglaublich, dass er glaubte,  er würde noch träumen. Er zwickte sich kurz ins Fell – autsch. Nein, was er da sah war Wirklichkeit. Sie waren umgeben von riesigen Gesteinsbrocken und vor ihnen schimmerte ein See im beginnenden Mondlicht. Die Konturen der Steine spiegelten sich im See. Portos sprang mit einem Satz vom Rücken seiner Freundin herunter. „Wo sind wir hier?“ schrie er  so laut er konnte, denn er musste gegen das aufgeregte Geschnatter der Wildgänse antönen. Die waren nun ihrerseits total überrascht, ihn hier zu sehen.

„Was machen wir denn nun mit Dir?“ fragten sie mitleidig. „Wir können Dich doch nicht einfach hier lassen. Es wird schneien und dann findest Du nichts mehr zum Essen“. Oh je, „nichts zu Essen“ das hätte die Graugans besser nicht gesagt. Die Aussicht zu hungern, machte Portos ganz verzagt. „Kannst Du mal Deinen Navigator fragen, wie ich heimkommen kann?“ Der Navigator war zunächst außer sich, dass so eine freche Maus einfach als blinder Passagier mit geflogen war, aber dann tat Portos  ihm doch leid. Schließlich hatten er und seine Brüder ja viel zur Rettung der Graugans beigetragen. 

Ich werd mal beim Steinadler vorbeischauen, vielleicht weis der was. Der Steinadler war wenig erbaut, mit so einer Winzigkeit behelligt zu werden. Als die Graugans ihm aber erzählte, was die Mäuse alles Gutes getan hatten, meinte er, er könnte ja mal eine Ausnahme machen... Er wüsste da ein par Kraniche, die demnächst vorbeikommen müssten, weil sie in der Heimat der Mausgetiere überwintern wollten. Er stieß einen schrillen Schrei aus und nach einer Stunde kam der erste Kranich angesegelt. „Könntet Ihr den kleinen Ausreißer mitnehmen?“ fragte er. „Der hat hier oben ja keine Chance zu überleben.“ Der Kranich beäugte den kleinlauten Portos und meinte dann gönnerhaft: „Naja, dann steig mal auf, Du kleiner Ausreißer.“

So kam es, das Portos sehr schnell wieder auf dem Rückweg war. 
Doch dann passierte etwas, was er sich in seinen kühnsten Träumen niemals ausgemalt hätte....


43.     Der Sturm



Portos und der Kranich waren schon eine ganze Weile unterwegs, als die Luft immer holpriger wurde. Dauernd packten heftige Windböen den eleganten Segler und drückten ihm mal runter, mal steil in die Höhe. Portos wurde es ganz beklommen zumute. Er krallte sich fest und kuschelte sich ganz tief in das Federkleid seines neuen Freundes.
Aber dann half alles nichts mehr. Der Sturm wurde zu stark und zu allem Überfluss hatte es angefangen zu regnen.
Der Kranich schaffte gerade noch eine glatte Landung in der Nähe einer Scheune, die auf einem offenen Feld stand.
Der Sturm hatte das große Tor aufgedrückt und deshalb schlug es haltlos im Wind. „Lass uns da unterstellen bis wir trocken sind und das Unwetter  aufhört“ meinte der Kranich. „Ich geh mal auf Futtersuche.“  Auf dem Boden lagen einige Roggenkörner. Portos fing an beidhändig sich den Rachen mit den Körnern voll zu stopfen.............. 
Tat das gut. Der erste Hunger war gestillt. Er schloss selig die Augen.


44.     Die Ratte



„Kannst Du mir mal erklären, was Du hier verloren hast?“ wurde er plötzlich wieder unsanft in die Wirklichkeit zurück geholt. Vor ihm stand eine Riesen-Ratte. Er erinnerte sich, dass seine Mutter mal im Rahmen ihrer Erziehung über die entfernten Verwandten gesprochen hatte. Sie hatte ihre Kinder gewarnt. „Legt Euch nicht mit den Ratten an! Sie sind gefährlich!“ hatte sie eindringlich gewarnt.  Portos war überhaupt nicht nach Streit zumute.

Deshalb  versuchte er  - etwas unbeholfen - einen tiefen Bückling und stammelte
„Gestatten, Portos vom Stamm der Mausgetiers, wenn es recht ist“ „So, so.“  Die riesige Ratte strick sich die Barthaare glatt. 
„Und warum sind Ihro Gnaden hier in der Scheune?“ fragte er ironisch. 
„W-w-w-wir s-s-sind h-h-hier g-g-gelandet...weil der Sturm so schlimm war, d-d-d-dass w-w-w-wir nicht weiterfliegen konnten.“ 
„Schau an,“ meinte die Ratte „eine fliegende Maus.“ Sie packte den vermeintlichen Lügner bei den Ohren und wollte ihn gerade ordentlich durchschütteln, als der Kranich auf Portos Notlage aufmerksam wurde. 
„Lass ihn in Ruhe,“ sagte der Kranich, „er ist mit mir geflogen und er tut Dir doch nichts.“ Aber die Ratte ließ nicht locker. 
„Ha!“, rief sie aufgebracht „und dass er meine Vorräte frisst ist in Ordnung?“ 
Der Kranich blieb unbeeindruckt. 
„Portos hat doch nur genommen, was rum lag, Du hast doch noch genug zu futtern, jetzt stell Dich nicht so an. Es ist doch genug für alle da.“ 

Dem hatte die Ratte nichts mehr entgegen zu setzen. 
„Lass uns ausruhen und Kraft schöpfen, wir haben noch ein Stück vor uns,“  sagte der Kranich zu Portos. Das brauchte er nicht zweimal sagen. Portos packte sich auf das nächste Strohbüschelchen, das rum lag und war im nächsten Moment tief und fest eingeschlafen.

Am nächsten Morgen, als die Sonne durch die Ritzen der Scheunenwand schien, wachte Portos auf. Er fühlte sich erfrischt und voller Abenteuerlust. Der Kranich stand noch schlafend auf einem Bein und hatte anmutig den Kopf unter seinen Flügel gesteckt. 
„Na, das ist auch ne komische Art zu schlafen“ schmunzelte Portos und lief nach draussen. 

Draussen war es ziemlich kühl, aber die Sonne wärmte schon ein bisschen. Portos wanderte aufs Geratewohl und hoffte etwas Essbares zu finden. Mit der Ratte wollte er sich nicht schon wieder streiten...


45.     Die Eltern



Er hatte gerade ein paar Haferkörner auf einem verlassenen Feld aufgespürt und sich hungrig darüber her gemacht, als er sanft angestupst wurde. Er drehte sich um ....
und blickte in ein Mäusegesicht das ihm unheimlich bekannt vorkam. 
Irgendwie sah der aus wie.... 
ja wie.... 
Wenn er doch bloß draufkommen würde... 
Irgendwie wie....

„Hallo, mein Sohn“ sagte dann der Fremde. „Wie kommst Du denn hier her?
Du musst Portos sein. Deine Mutter vermisst Dich schon.“

Portos wurde es ganz schwindlig vor Aufregung. Das musste sein Papa sein. Der große Mäuseheld,  von dem seine Mutter immer so tolle Geschichten über seine tollkühnen Streiche  erzählt hatte....“

„Papa,“ jubelte er „was macht Du denn hier? Wie geht es denn meiner Mutter?“  
Plötzlich wurde Portos klar, das seine Mutter ja außer sich vor Sorge sein musste. „Siehst Du Mama bald wieder?“ fragte er aufgeregt. 
„Jaja, sehr bald“ sagte der mit einem spitzbübischen Grinsen...
Dann stieß er einen melodischen Pfiff aus und im nächsten Moment stand seine Mutter ihnen.

War das ein Jubel. 
Schnell war die  Geschichte erzählt. 
Als der Vater im Herbst wieder mal zu Besuch ins Schloss kam,  hatte er eine todunglückliche Gefährtin vorgefunden. Ihre Kinder waren verschwunden und der letzte der etwas von ihnen gesehen hatte, war der Bibliothekskater und der war seit jenem Tag nicht mehr ansprechbar. 
Also machten sich die Mausgetier-Eltern auf den Weg. 

.. und jetzt hatten sie ihren Sohn gefunden. 
„Wo sind  Aramis und Athos?“ wollte die Mutter sofort wissen. 
„Ich denke mal, dass die zuhause im Reich der Haselmauskönigin  in der Höhle sind, wo wir wohnen. Der Kranich wollte mich da hin bringen, aber wir haben notlanden müssen“ 
„Ts, ts“ meinte der Vater ungläubig. „Zu meiner Jugendzeit ist man noch zu Fuß gegangen“. Er schüttelte missbilligend den Kopf. 
„Fliegen! Dass ich nicht lache!“  sagte er streng. 
„Wenn Mäuse fliegen sollten, dann hätten sie Flügel. Du bleibst in Zukunft am Boden. Basta...“ Das gefiel Portos nun gar nicht. Er wollte schon entgegnen, das er sehr wohl Mäuse mit Flügeln kannte... aber

....durch den Lärm war der Kranich wach geworden und stakste auf seinen langen Beinen über das Feld. 
„Verzeihung“ schnarrte er höflich und legte den Kopf anmutig in den Nacken „Aber sind Euer Hochwohlgeboren sich dessen bewusst, dass Ihr Euren Prinzen nur deshalb treffen konntet, weil der mit mir geflogen ist?“ 

Da war schlecht etwas dagegen zu sagen.
Der Kranich fuhr fort. „Wenn ihr nichts dagegen habt, dann könnte ich Euch alle mitnehmen. Ihr seid ja so winzig.“

Nun, „winzig“ war wohl das falsche Wort. Der Mäusevater explodierte förmlich. 
„Wir sind nicht winzig!“ rief er aufgebracht.
 „Was bildet er sich ein, bloß weil er anders ausgestattet ist,  sich so g-g-gönnerhaft aufzuspielen...“ 
Die Mausemutter hatte den Streit ruhig angehört, doch nun ging ihr das doch zu weit.
„Sei doch mal ruhig“ sagte sie besänftigend zu ihrem Gefährten. „Der Kranich hat ja Recht. Wir müssen ihm sogar dankbar sein. Wir hätten doch Portos ohne ihn gar nicht getroffen... und wenn wir jetzt mitfliegen dürfen, dann sollten wir froh sein und nicht schimpfen.
Der Mäusehäuptling war zwar tief gekränkt, aber er musste einsehen, dass  das alles stimmte. „Flieg Du mit - ich laufe,“ sagte er und so geschah es.

Aber das ist eine andere Geschichte...


46.     Die Begegnung



Aramis und Athos hatten sich seit Portos Verschwinden immer abgewechselt und draußen Wache gehalten, um ihn ja nicht zu verpassen, wenn er zurück käme. Sie konnten ja von Portos Abenteuern nichts wissen. Deshalb waren sie mehr als überrascht, als eines Morgens der Kranich direkt vor ihnen landete und ein vergnügter Portos mit einem großen Satz vor ihren Füßen landete. 
„Hey, Brüder,“ rief er und hüpfte vor lauter Freude, “ihr ratet nicht, wen ich mitgebracht habe...“.

Im nächsten Moment schlüpfte die Mäuse-Mutter aus dem Feder-Versteck und der Kranich nahm sie vorsichtig mit seinem Schnabel auf und setze sie behutsam auf den Boden.

„Mama, Mama, Mama!“ schrie Athos überglücklich. Er umarmte seine Mutter überschwänglich und tanzte mit ihr im Kreis herum.

Aramis konnte es nicht fassen. Seine Mutter! Sie, die immer gesagt hatte, dass man die Bibliothek nie verlassen dürfe, war hier draußen...

Er machte eine formvollendete Verbeugung 
„Mutter,“ sagte er „Sie hier? Wie kommt Ihr denn in diese Wildnis?“

„Ja, rate mal, Du Schlaumeier,“ sagte seine Mutter zärtlich und stupste ihn zart mit dem Schnäuzchen an, 
„was soll ich in einer leeren Bibliothek?“ So bin ich mit Eurem Vater los gezogen und habe Euch gesucht.“ 

„Und wo ist Vater?“ fragte Aramis. 
„Ach, der hatte mal wieder seinen eigenen Kopf, der wird zu Fuß nachkommen....“ seufzte seine Mutter.

Na, dann will ich mal weiter,“  sagte der Kranich, der froh war seine Fracht wohlbehalten abgeliefert zu haben und schwang sich in die Lüfte bevor die Mäuse ihm noch richtig danken konnten. Im Nu war er nur noch ein Punkt am blauen Himmel. 

„Komm rein, Mutter“ sagte Athos ganz aufgeregt. „Ich muss Dir unsere Höhle zeigen. Und wir haben Nachbarn, die sind soooo nett....“

Aramis und Portos saßen noch eine Weile draußen und  Portos musste Aramis alles über seinen Flug mit der Graugans und dem Kranich erzählen. Aramis steuerte dann noch bei,  wie er den Flug mit den Enten erlebt hatte. Sie fanden, dass sie nun sehr reise-erfahrene Mäuse waren... Welche Maus konnte schon von sich behaupten geflogen zu sein...



47.     Mäusealltag



Jetzt waren sie also zu viert. Sofort hatte die Mutter wieder ihr strenges Regiment aufgenommen. Weil sie so viel über das Leben in der Wildnis gelesen hatte, wollte sie ihre Jungs am liebsten überhaupt nicht mehr raus lassen. Zum Glück kam ihnen die Kaninchenmutter zu Hilfe. Sie klärte die besorgte Mutter darüber auf, wie trefflich ihre Söhne bis jetzt jede Herausforderung gemeistert hätten. 

Da glühte sie vor Stolz. Jedes ihrer Kinder hatte ein besonderes Talent entwickelt. Aramis war in der Lage, aus  Büchern Gelerntes praktisch umzusetzen, Portos konnte alle schweren Aufgaben (inklusive Rettung von Wildschweinen - man bedenke das! ) lösen und der kleine Athos hatte sich als hervorragender Anwalt und Vermittler bewiesen. Fürwahr, das waren schon ganz besondere Mäuse - ihre Kinder....

Schnell waren die Aufgaben verteilt. Die Mutter schaltete und waltete umsichtig. Sie lernte die Haselmauskönigin kennen und nach kürzester Zeit waren die beiden dicke Freundinnen. Dabei ist das Wort „dicke“ wörtlich zu nehmen. 
„Was Du auf den Rippen hast, kann Dir keiner mehr wegnehmen“ pflegte sie ihrer neuen Freundin zu erklären. Wenn der Winter kommt müsst Ihr Speck angesetzt haben, sonst erfriert und verhungert ihr.....  
Das kam Portos gerade recht. Er futterte, was das Zeug hielt, und beinahe wäre er so kugelrund geworden, dass er nicht einmal mehr durch den Eingang gepasst hätte.  Gott sei Dank hatte der Kleiber noch etwas Spielraum gelassen, sonst hätte sich Portos eine neue Wohnung suchen müssen. 
Einen Vollmond später war plötzlich auch der Mäusevater aufgetaucht. So war die Familie wieder zusammen und alle waren glücklich.


48.     Winteranfang



Doch dann war es soweit. Der Winter hielt Einzug. Der erste Schneesturm fegte heulend über die Felder und am nächsten Morgen war alles weiß. Wie eine dicke Daunendecke war der Neuschnee über dem Feld ausgebreitet. Alles war Mucks-Mäuschen-still - 

Doch halt - regt sich da was unter dem Schnee?

Raspel, raspel - kratzt und schabt unter der Oberfläche, gleich am Wegesrand,  bis es mit einem leisen Blopp eine kleine Schneefontäne gibt und ein neugieriges kleines Mäusegesicht auftaucht.

„Uiiii, was ist das denn? Guckt mal...Das muss der Schnee sein.“

„ Lass mal sehen?“

Als nächstes tauchte die Mäusemama auf. Tatsächlich - alles war weiß. Nichts sah mehr aus wie am Tag zuvor. Nach und nach tauchten die restlichen Familienmitglieder auf. Schnee! Der Mäusevater kannte es aus praktischer Erfahrung und die Jungs und ihre Mutter nur aus Büchern. Also gab er ihnen erst einmal Unterricht, was man mit dem Schnee alles anstellen konnte.

Schneeballschlacht zum Beispiel - oder einen Engelabdruck hinterlassen oder unter dem Schnee einen Gang buddeln und irgendwo wieder auftauchen. So bekam das Versteckspiel eine ganz neue Note...

An Winterschlaf mochte noch keiner denken - es war einfach zu schön....

Als die Haselmauskönigin eine Woche später noch eine letzte Runde in ihrem Revier machte, ermahnte sie alle,  ja drinnen zu bleiben. Es sei jetzt Ruhezeit und alle müssten warten bis es Frühjahr würde....

Die Mausgetiers verzogen sich in ihre Höhle und erzählten sich vor dem Einschlafen von ihren kleinen und großen Abenteuern und bald hörte man nur Schnarchen in den verschiedenen Tonlagen. 

Doch dann geschah es...
Draußen hatten sich dunkelgraue Wolken aufgetürmt. Von Süden her war eine Warmfront gegen die Schneewolken gestoßen und das hatte ein heftiges Wintergewitter zur Folge. Es grollte, es donnerte, die Erde bebte....

Athos fuhr auf. In seiner Panik rannte er nach draußen. Da erhellte ein greller Blitz die Winternacht. Der gleißende Schnee, das helle Licht....   Athos war außer sich vor Furcht und rannte los. Er rannte und rannte und rannte und schrie dabei aus Leibeskräften. Er rannte und schrie so lange bis er entkräftet zusammenbrach.


49.     Der Zauberwald



Als er nach einer kleinen Ewigkeit zu sich kam, hatte er keine Ahnung, wo er war und war vor Angst wie gelähmt....

Plötzlich bewegte sich etwas hinter ihm, das vorher ausgesehen hatte wie ein Stein. Er drehte sich um und sah in die gütigsten Augen, die er je gesehen hatte. 
„Wer bist Du denn?“ fragte eine freundliche Stimme. 
Doch bevor Athos antworten konnte, unterbrach greller Blitz und krachender Donner  die beginnende Unterhaltung. 
Athos schloss entsetzt die Augen und hielt sich die Ohren zu.

„Kann ich Dir helfen?“  fragte jemand und fasst ihn sanft an der Schulter.
„Ich heisse Athos und mir kann keiner helfen“ schluchzte er. 
„Ich bin mit meinen Brüdern im Sommer aus der Schlossbibliothek ausgerissen und jetzt ist Winter und ich weis nicht mehr, wo meine Mama, mein Papa und meine Brüder sind. Uääääähhhh!“ 
„ Ach Du armer Kleiner, komm erst mal unter meinen Pilz. Und dann erzählst Du mir mal alles von Anfang an.“ 
Bis Athos mit seiner Geschichte fertig war, hatte das Gewitter aufgehört. Plötzlich war alles in ein unwirkliches, farbiges Licht getaucht.

 „Uii, was ist denn das für ein helles Leuchten“ fragte Athos atemlos, denn so etwas Schönes hatte er noch nicht einmal in den Büchern bei seiner Mama gesehen. 

„Das ist ein Regenbogen“ lächelte die Kröte. 
„Du hast Glück. Du sitzt hier am Fuß des Regenbogens und darfst Dir etwas wünschen.“

Athos wurde es ganz schwindlig vor Aufregung. 
„W-w-was soll ich mir denn wünschen?“ Er legte seine kleine Stirn in Falten und dachte angestrengt nach. 
Zunächst wollte er sich wünschen, dass es kein Gewitter mehr geben würde, aber das fand er dann doch zu albern. 
Dann meinte er, es wäre schön auf einem Teppich wie der kleine Muck aus dem Märchen überall hinfliegen zu können, denn seine Brüder waren ja schon mal geflogen, nur er nicht.... aber da fiel ihm ein, dass  ein fliegender Teppich ohne seine Brüder überhaupt keinen Spaß machen würde.....   
Seine Brüder! Das war es! Ich möchte, dass meine Brüder da sind“ sagte er. „Pass auf, was Du Dir wünscht,“ sagte die gütige Kröte. „Wenn Du sie hierher bestellst, dann findet ihr am Ende alle miteinander vielleicht gar nicht mehr aus dem Zauberwald raus.“ 
„Ich bin im Zauberwald????“ fragte Athos ungläubig. 
„Wie bin ich denn da hineingekommen?“ 
„Weil Du so ängstlich und unglücklich warst, habe ich Dich aufgehoben und hierher getragen. Hab keine Angst, es wird Dir hier gut gehen. Doch jetzt erzähl mal: Was möchtest Du denn wirklich gerne?“  

„Ich will heim zu meinen Brüdern und ich will heim zu meiner Mama und meinem Papa.“ 
Bei dem Gedanken, dass er sich eventuell zwischen Eltern und seinen Brüdern entscheiden sollte,  fing er an zu weinen. 

„Warum sollst Du Dir das nicht wünschen können?“ fragte die Kröte, die in Wirklichkeit eine gute Fee war.  
Sag dreimal 
„Ich möchte mit meinen Brüdern bei meinen Eltern sein“ 
und der Wunsch geht in Erfüllung

„Ich möchte mit meinen Brüdern bei meinen Eltern sein.“
„Ich möchte mit meinen Brüdern bei meinen Eltern sein.“
„Ich möchte mit meinen Brüdern bei meinen Eltern sein.“

So schnell hatte Athos noch nie etwas gesagt....

Dann wollte er der Kröte noch danke sagen, aber eh er sich's versah, war alles dunkel um ihn. 

Plötzlich roch alles nach alten Büchern. Er fühlte neben sich seine Brüder, sie schliefen tief und selig. Als er vorsichtig die Augen aufmachte, sah er, dass sich seine Eltern über ihn gebeugt hatten. 
„Athos, mein Kleiner.“ sagte seine Mutter mit sanfter Stimme 
„Du hast aber lebhaft geträumt. Das liegt bestimmt daran, dass Du zu viele Abenteuerromane gelesen hast...“
„Ach Mama, wenn Du wüsstest..“.. seufzte Athos, drehte sich um und schlief ein.

Ende